Die Großherzöge von Hessen und bei Rhein 1806-1918. Stammbaum und Biografien.
Das souveräne Großherzogtum Hessen bildet laut Verfassungsurkunde vom 17. Dezember 1820, die durch Landes- und Reichsgesetzgebung mannigfache Abänderungen erfahren hat, als ein unter ein und derselben Verfassung stehendes Ganze eine unteilbare konstitutionelle Monarchie. Der Landesherr, der den Titel „Großherzog von Hessen und bei Rhein“ mit dem Prädikat „Königliche Hoheit“ führt, ist das Oberhaupt des großherzoglichen Hauses wie auch der evangelischen Kirche des Landes und bezieht eine Zivilliste von 1.265.000 Mark, die, gleich den übrigen Bedürfnissen des Hofes, vorzugsweise auf die als schuldenfreies unveräußerliches Familieneigentum des großherzoglichen Hauses anerkannten zwei Drittel der Domänen angewiesen ist.
Die Regierung ist im großherzoglichen Haus erblich nach Erstgeburt und Linealerbfolge, auf Grund der Abstammung aus ebenbürtiger, mit Bewilligung des Großherzogs geschlossener Ehe. In Ermangelung eines durch Verwandtschaft oder Erbverbrüderung zur Nachfolge berechtigten Prinzen geht die Regierung auf das weibliche Geschlecht über, nach dem Übergang gilt wiederum der Vorzug des Mannesstammes. Beim Erlöschen des Mannesstammes würden auf Grund der Erbverbrüderung vom 9. Juni 1373 folgende fürstliche Linien in der angegebenen Reihenfolge zur Thronfolge berufen sein: Königreich Sachsen, Großherzogtum Sachsen-Weimar, Herzogtum Sachsen-Meiningen, Herzogtum Sachsen-Altenburg, Herzogtum Sachsen-Coburg Gotha. Eine weitere Erbverbrüderung wurde zwischen Hessen und dem sächsischen und brandenburgischen Fürstenhaus am 27. Mai 1457 geschlossen und am 30. und 31. März 1614 erneuert.
Stammbaum der Großherzöge von Hessen und bei Rhein (Haus Brabant)
Titel: Großherzog von Hessen und bei Rhein (seit 7. Juli 1816)
regierendes Fürstenhaus: Brabant, Ahnherr Graf Reginar († 915)
Großherzöge von Hessen und bei Rhein 1806 – 1918
Ludwig I., Großherzog von Hessen-Darmstadt, wurde am 14. Juni 1753 zu Prenzlau in der Uckermark, wo damals sein Vater, der nachmalige Landgraf Ludwig IX. (1768–90), der Gemahl der „großen Landgräfin“, als preußischer Generalmajor in Garnison stand. Ludwig bezog 1769 die Universität in Leiden und trat 1774 für kurze Zeit (bis September 1775) in russische Kriegsdienste. 1776 verzichtete er gegen eine jährliche Pension von 10.000 Rubel auf seine Braut Sophie Dorothea von Württemberg, die mit dem damaligen Großfürsten-Thronfolger Paul vermählt wurde. Ludwig beschäftigte sich in Darmstadt mit Wissenschaften und Kunst. Dabei stand er in beständiger Verbindung mit dem Weimarer Hof und dessen führenden Geistern, bis ihn 1790 der Tod seines Vaters unter dem Namen Landgraf L. X. zur Regierung berief. In den französischen Revolutionskriegen kämpften seine Truppen am Rhein, im Elsaß und in den Niederlanden; Ludwig selbst wohnte der Belagerung von Mainz bei. Nach dem Frieden von Campo Formio (1797) sah er sich im März 1799 zu einer Neutralitätskonvention mit Frankreich genötigt. Für den Verlust seiner Besitzungen auf dem linken Rheinufer wurde er im Reichsdeputationshauptschluß 1803 unter anderem durch mainzische Besitzungen und das Herzogtum Westfalen entschädigt. Im August 1806 trat er dem Rheinbund bei, wurde souveräner Großherzog und nannte sich nun Ludwig I. Erst im November 1813, als die Befreiungskriege tobten, schloss er sich den Verbündeten an und erhielt auf dem Wiener Kongress 1815 für Westfalen namentlich Rheinhessen. Am 21. Dezember 1820 gab er seinem Land eine konstitutionelle Verfassung. Vermählt war er mit Prinzessin Luise Karoline Henriette, Tochter seines Oheims, des Landgrafen Georg Wilhelm von Hessen-Darmstadt. Ludwig huldigte freisinnigen Anschauungen, er förderte die Wissenschaften und Künste, das Museum, die Hofbibliothek und das Theater. Als erster deutscher Fürst ging er 1828 mit Preußen eine Zolleinigung ein. Dieser preußisch-hessische Vertrag wurde die Grundlage des Deutschen Zollvereins. 1844 wurde ihm, dem Neubegründer des Staates, in Darmstadt ein Denkmal errichtet. Ludwig I. starb im Alter von 76 Jahren am 6. April 1830 in Darmstadt.
Ludwig II. Großherzog von Hessen und bei Rhein, ist der Sohn des vorigen. Er wurde am 26. Dezember 1777 in Darmstadt geboren. Er lebte bis zu seinem Regierungsantritt (6. April 1830) meist zurückgezogen in Darmstadt. An eigentlichen Regierungsgeschäften durfte er keinen Anteil nehmen, nur beteiligte er sich an den Sitzungen der Ersten Kammer und war von 1823 an Mitglied des Staatsrats. Wohlwollend, aber den liberalen Ideen abgeneigt, ließ er den Minister du Thil ein verständiges, aber bürokratisches Regiment führen, während es schon infolge der Julirevolution zu Unruhen in Oberhessen und wegen der Schuldenlast, die Ludwig als Erbprinz auf sich geladen hatte und nun auf den Staatshaushalt übernommen wissen wollte, zum Konflikt mit dem Landtag kam. Den Ereignissen der bürgerlichen Revolution von 1848 fühlte er sich nicht gewachsen und übertrug am 5. März 1848 seinem Sohn, dem späteren Großherzog, die Mitregentschaft. Ludwig II. war vermählt mit Prinzessin Wilhelmine von Baden († 1836), die ihm drei Söhne, den Großherzog Ludwig III. (siehe unten), Karl (23.04.1809-20.03.1877), Alexander (15.07.1823-15.12.1888), und Tochter Marie (08.08.1824-03.07.1880), seit 1841 die Gemahlin des Großfürsten-Thronfolgers, späteren Zaren von Russland, Alexander II., gebar. Ludwig II. starb im Alter von 70 Jahren am 16. Juni 1848 in Darmstadt.
Ludwig III. von Hessen und bei Rhein
* 09.06.1806 in Darmstadt
† 13.06.1877 in Seeheim
von 1848 bis 1877 Großherzog von Hessen und bei Rhein
Ludwig III., Großherzog von Hessen und bei Rhein, ist der Sohn des vorigen. Er wurde am 8. Juni 1806 in Darmstadt geboren. Er hatte vor 1848 wenig Einfluss auf die öffentlichen Angelegenheiten, wurde aber für liberal gehalten und mit Jubel begrüßt, als ihn der Großherzog Ludwig II. am 5. März 1848 zum Mitregenten berief. Die Wahl Gagerns zum Minister steigerte seine Popularität. Seit 16. Juni 1848 Großherzog, änderte er nach 1850 seine Politik, und unter dem Ministerium Dalwigk erhielt die Kirche weitgehende Rechte und Freiheiten auf Kosten des Staates. Ludwig III. selbst trat hinter dem allmächtigen Minister und dem Bischof von Mainz zurück, nahm im Deutschen Krieg von 1866 gegen Preußen teil, behielt aber infolge der Verwandtschaft mit und der Fürsprache des russischen Zaren sein Land fast unverkürzt, trat für Oberhessen in den Norddeutschen Bund und schloss mit dem Königreich Preußen eine Militärkonvention. 1871 trat er mit dem ganzen Land ins Deutsche Reich ein und entließ am 6. April d. J. Dalwigk, worauf mit Hofmanns Eintritt im September 1872 ein völliger Systemwechsel erfolgte. Vermählt 1833 war er mit Mathilde von Bayern (30.08.1813-25.05.1862), seit 1868 morganatisch mit einer Freiin von Hochstätten; beide Ehen blieben kinderlos. Ludwig III. starb im Alter von 71 Jahren am 13. Juni 1877 in Seeheim bei Darmstadt.
Ludwig IV. von Hessen und bei Rhein
* 12.09.1837 in Bessungen
† 13.03.1892 in Darmstadt
von 1877 bis 1892 Großherzog von Hessen und bei Rhein
Ludwig IV., Großherzog von Hessen und bei Rhein, ist Neffe des vorigen, Sohn des Prinzen Karl von Hessen und der preußischen Prinzessin Elisabeth. Er trat in das preußische 1. Garderegiment ein, vermählte sich am 1. Juli 1862 mit der zweiten Tochter der Königin Viktoria von England, Prinzessin Alice († 14. Dezember 1878), führte im Deutschen Krieg 1866 eine Brigade im hessischen Kontingent, im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 die hessische (25.) Infanteriedivision und blieb auch im Frieden deren Kommandeur. Durch den Tod seines Vaters am 20. März 1877 wurde er Thronerbe. Nach dem Tode seines Oheims, des Großherzogs Ludwig III., bestieg er am 13. Juni 1877 als Ludwig IV. den hessischen Thron. Er übernahm sodann die 3. Armeeinspektion. 1884 vermählte er sich morganatisch mit Frau von Kolemine, geborene Gräfin Czapska, doch wurde die Ehe kurz darauf gerichtlich wieder getrennt. Seine Kinder erster Ehe sind: sein Nachfolger Ernst Ludwig, die Prinzessinnen Viktoria (* 05.04.1863, seit 1884 Gemahlin des Prinzen Ludwig von Battenberg), Elisabeth (* 01.11.1864, seit 1884 Gemahlin des russischen Großfürsten Sergij Alexandrowitsch), Irene (* 11.07.1866, seit 1888 Gemahlin des Prinzen Heinrich von Preußen (Bruder Kaiser Wilhelms II.) und Alix (* 06.06.1872, seit 1894 als Alexandra Feodorowna Gemahlin des Zaren Nikolaus II. von Rußland. Ludwig IV. starb im Alter von 54 Jahren am 13. März 1892 in Darmstadt.
Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein
* 25.11.1868 in Darmstadt
† 09.10.1937 in Schloss Wolfsgarten bei Langen
von 1892 bis 1918 Großherzog von Hessen und bei Rhein
Ernst Ludwig, Großherzog von Hessen und bei Rhein, ist der einzige Sohn des damaligen Prinzen, späteren Großherzogs Ludwig IV. von Hessen und der Prinzessin Alice von Großbritannien und Irland. Er wurde durch den frühen Tod seines Vaters am 13. März 1892 Großherzog. 1894 vermählte er sich mit der Prinzessin Victoria Melita von Sachsen-Coburg-Gotha (1876-1936), die ihm 1895 die Prinzessin Elisabeth († 16.11.1903) gebar. Die unglückliche Ehe wurde am 23. Dezember 1901 gerichtlich geschieden. Durch das neue Regentschaftsgesetz vom 26. März 1902 wurde für den Fall, dass Ernst Ludwig aus einer neuen Ehe keinen Sohn erzielen sollte, als Thronerbe der dem Thron am nächsten stehende Agnat des Gesamthauses Hessen bestimmt, der erblindete kinderlose Landgraf Alexander Friedrich von Hessen, dem sein jüngerer Bruder, Prinz Friedrich Karl von Hessen, ein Schwager des deutschen Kaisers Wilhelm II., folgen würde. Ernst Ludwig heiratete jedoch 1905 in zweiter Ehe Prinzessin Eleonore zu Solms-Hohensolms-Lich (1871-1937). Aus der ausgesprochenen glücklichen Ehe gingen der Erbgroßherzog Georg (1906-1937) sowie dessen Bruder Ludwig (1908–1968) hervor. Nach der Novemberrevolution 1918 wurde der „Volksstaat Hessen“ ausgerufen und der letzte Großherzog von Hessen und bei Rhein zur Abdankung gezwungen, die er aber immer offiziell ablehnte. Er blieb jedoch mit seiner Familie weiterhin in seinem Darmstädter Palais wohnen und konnte auch seine Sommerresidenz Schloss Wolfsgarten behalten. Ernst Ludwig starb im Alter von 68 Jahren am 9. Oktober 1937 in Schloss Wolfsgarten bei Langen.
Am 16. November 1937 kamen bei einem Flugzeugabsturz bei Ostende (Belgien) Georg, seine schwangere Ehefrau Cäcilie, ihre beiden Söhne Ludwig und Alexander sowie seine Mutter Eleonore ums Leben.
Königin Victoria von Großbritannien und ihre Verwandtschaft in Coburg 1894 anlässlich der Hochzeit von Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein und Prinzessin Victoria Melita von Edinburgh und Sachsen-Coburg und Gotha.
Im Vordergrund: Prinzessin Beatrice von Sachsen-Coburg und Gotha und Prinzessin Feodora von Sachsen-Meiningen.
- Reihe sitzend: Kaiser Wilhelm II., Königin Victoria und ihre Tochter, Kaiserin Friedrich (Victoria, Mutter Kaiser Wilhelms II.)
- Reihe: Erbprinz Alfred von Sachsen-Coburg und Gotha, Zarewitsch Nicholas Alexandrovich von Russland, Prinzessin Alix von Hessen und bei Rhein, Prinzessin Victoria von Battenberg, Prinzessin Irene von Preußen, Großfürstin Maria Pavlovna, Marie Herzogin von Sachsen-Coburg und Gotha.
- Reihe: Edward Prinz von Wales (König von GB 1901-1910), Prinzessin Beatrice von Battenberg, Prinzessin Alexandra von Sachsen-Coburg und Gotha, Prinzessin Charlotte von Sachsen-Meiningen, Louise Herzogin von Connaught
- Reihe: Prinz Heinrich von Battenberg, Prinzessin Louise von Sachsen-Coburg-Kohary, Großfürst Serge Alexandrovich von Russland, Großfürst Wladimir Alexandrovich von Russland und Prinz Arthur Herzog von Connaught.
- Reihe: Prinz Louis von Battenberg, Großfürst Paul Alexandrovich von Russland, Prinz Philip von Sachsen-Coburg, Graf Mensdorff-Pouilly, Kronprinzessin Marie von Rumänien, Kronprinz Ferdinand von Rumänien, Großfürstin Elisabeth Feodorovna von Russland, Herzog Alfred von Sachsen-Coburg und Gotha.
Bildergalerie
Quellenhinweise:
- „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 24 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1906 – 1908
- „Brockhaus Kleines Konversations-Lexikon“, 5. Auflage, Leipzig 1911
- „Lexikon deutscher Herrscher und Fürstenhäuser“, Heinrich Klauser, Ullstein 1995
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Danke für diesen tollen Beitrag. Ich befasse mich gerade mit deutschen Wissenschaftlern aus dem 19. Und 20. Jahrhundert. So kam ich zu diesem hochinteressanten Beitrag.