Österreich, Wappen, Reichsfarben

Reichsverfassung Österreich

Reichsverfassung für das Kaisertum Österreich vom 4. März 1849

Länder der Donaumonarchie 1914
Länder der Donaumonarchie 1914

Österreich bildet mit Ungarn eine Monarchie, die dieselbe Dynastie und gewisse als gemeinsam erklärte Angelegenheiten besitzt (siehe Österreichisch-Ungarische Monarchie). Im übrigen sind Österreich und Ungarn besondere Staatsgebiete mit besonderer, eingeschränkt- (repräsentativ-) monarchischer Verfassung.

Österreich-Ungarn (1912)
Österreich-Ungarn (1912)

Staatsgrundgesetze sind für Österreich außer den mit Ungarn gemeinsamen:

  • das Diplom vom 20. Oktober 1860 (Einführung der konstitutionellen Regierungsform);
  • die Staatsgrundgesetze vom 21. Dezember 1867 (betreffend die Organisation der Reichsvertretung,
  • die allgemeinen Rechte der Staatsbürger,
  • die Einsetzung eines Reichsgerichts,
  • die richterliche Gewalt,
  • die Regierungs- und Vollzugsgewalt);
  • die Reichsratswahlordnung vom 2. April 1873;
  • die Landesordnungen und Landtagswahlordnungen für die einzelnen Länder vom 26. Februar 1861 (durch spätere Gesetze abgeändert).

Die österreichische Volksvertretung ist eine zweifache:

  • eine Gesamtvertretung für alle Länder des österreichischen Staatsgebiets, der Reichsrat, dessen Wirkungskreis alle Gegenstände der Gesetzgebung umfasst, welche Rechte, Pflichten und Interessen betreffen, die allen Ländern dieses Staatsgebiets gemeinschaftlich sind,
  • und eine besondere Vertretung für jedes einzelne Land, die Landtage.

Der Reichsrat besteht aus dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus.

  • Mitglieder des ersteren sind durch Geburt die großjährigen Prinzen des kaiserlichen Hauses, mit erblicher Würde die großjährigen Häupter hervorragender Adelsgeschlechter, vermöge hoher Kirchenwürde die Erzbischöfe und Fürstbischöfe, dann auf Lebensdauer vom Kaiser berufene verdiente Männer, insgesamt gegenwärtig 265 Mitglieder.
  • Das Haus der Abgeordneten ist aus 425 Mitgliedern zusammengesetzt, die von den Wählerklassen des großen Grundbesitzes (in Tirol des adligen großen Grundbesitzes, der Äbte und Pröpste, in Dalmatien der Höchstbesteuerten), der Städte, Märkte und Industrieorte, der Handels- und Gewerbekammern, der Landgemeinden und der allgemeinen Wählerklasse auf die Dauer von sechs Jahren gewählt werden. Als Wahlzensus gilt im allgemeinen die direkte Steuerleistung von 10 Kronen; in der allgemeinen Wählerklasse ist jeder eigenberechtigte männliche österreichische Staatsbürger, der das 24. Lebensjahr vollendet hat, wahlberechtigt.

In ähnlicher Weise wie das Abgeordnetenhaus des Reichsrats sind die Landtage zusammengesetzt, denen als verwaltendes und ausführendes Organ der gewählte Landesausschuss zur Seite steht.

Kaiser Franz Joseph I. von Österreich

Kaiser Franz Joseph I. von Österreich
* 18.08.1830 in Wien,
† 21.11.1916 in Wien;
1848 – 1916 Kaiser von Österreich, 1867 – 1916 König von Ungarn

Reichsverfassung Kaisertum Österreich vom 4. März 1849

Wir Franz Joseph I., von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen etc.

Als vor nahe einem Jahre Unser durchlauchtigster Herr Vorgänger im Reiche. Kaiser Ferdinand der Erste, dem allgemeinen Wunsche nach zeitgemäßen politischen Verbesserungen durch die Verheißung freier Institutionen bereitwillig entgegenkam, verbreiteten sich im ganzen Reiche die Gefühle der Dankbarkeit und freudiger Erwartung. Aber nur wenig entsprachen die späteren Erlebnisse so gerechter Hoffnung. Der Zustand, in welchem sich heute das Vaterland befindet, erfüllt Unser Herz mit tiefer Betrübnis. Der innere Friede ist von ihm gewichen. Verarmung bedroht die einst so gesegneten Lande. In der Haupt- und Residenzstadt Wien erheischen die Umtriebe einzelner Übelwollender noch immer zu Unserem großen Leidwesen und unerachtet der trefflichen Gesinnung der überwiegenden Mehrzahl ihrer Bewohner die Aufrechthaltung des Ausnahmezustandes. Bürgerkrieg verheert einen Teil Unseres Königreiches Ungarn. In einem anderen Kronlande hindert der Kriegszustand die Einführung geordneter Verhältnisse, und, wo die äußerliche Ruhe auch nicht gestört ist, wirbt um Anhang, im Finstern schleichend. der Geist des Misstrauens und der Zwietracht.

So betrübend sind die Wirkungen, nicht der Freiheit. aber des mit ihr getriebenen Missbrauches. Diesem Missbrauche zu steuern, die Revolution zu schließen, ist Unsere Pflicht und Unser Wille.

In dem Manifeste vom 2. Dezember hatten Wir die Hoffnung ausgesprochen, dass es Uns mit Gottes Beistand und im Einverständnisse mit den Völkern gelingen werde. alle Lande und Stämme der Monarchie zu einem großen Staatskörper zu vereinigen. Allenthalben in Unserem weiten Reiche fanden diese Worte freudigen Anklang, denn sie waren der Ausdruck eines längst gefühlten, jetzt zum allgemeinen Bewusstsein gelangten Bedürfnisses. In der Wiedergeburt der Gesamtmonarchie, in der engeren Verbindung ihrer Bestandteile erkennt der gesunde Sinn des Volkes die erste Bedingung für die Wiederkehr der gestörten Ordnung und des entwichenen Wohlstandes. sowie die sicherste Bürgschaft für eine gesegnete und glorreiche Zukunft.

Mittlerweile beriet zu Kremsier der von Kaiser Ferdinand dem Ersten berufene Reichstag eine Verfassung für einen Teil der Monarchie. Wir beschlossen – mit Hinblick auf die von ihm während des Oktobers eingenommene, mit der Unserem Hause schuldigen Treue wenig vereinbare Stellung – allerdings nicht ohne Bedenken. ihn mit der Fortführung jenes großen Werkes betraut zu lassen. Wir gaben Uns dabei der Hoffnung hin. dass diese Versammlung. die gegebenen Verhältnisse des Reiches im Auge haltend, die ihr übertragene Aufgabe ehebaldigst zu einem gedeihlichen Ergebnisse führen werde.

Leider ist diese Unsere Erwartung nicht in Erfüllung gegangen.

Nach mehrmonatlicher Verhandlung ist das Verfassungswerk zu keinen Abschlusse gediehen. Erörterungen aus dem Gebiete der Theorie, welche nicht nur mit den tatsächlichen Verhältnissen der Monarchie im entschiedenen Widerspruche stehen, sondern überhaupt der Begründung eines geordneten Rechtszustandes im Staate entgegentreten, haben die Wiederkehr der Ruhe, der Gesetzlichkeit und des öffentlichen Vertrauens in die Ferne gerückt, in den wohlgesinnten Staatsbürgern trübe Befürchtungen erzeugt und der durch Gewalt der Waffen zu Wien eben erst geschlagenen, in einem andern Teile Unseres Reiches noch nicht gänzlich besiegten Partei des Umsturzes neuen Mut und neue Tätigkeit verliehen. Dadurch ward auch die Hoffnung wesentlich erschüttert, dass dieser Versammlung trotz der höchst achtbaren Elemente, die sie enthält, die Lösung ihrer Aufgabe gelingen werde.

Inzwischen ist durch die siegreichen Fortschritte Unserer Waffen in Ungarn das große Werk der Wiedergeburt eines einheitlichen Österreich, das Wir Uns zu Unserer Lebensaufgabe gestellt, seiner Begründung näher gerückt und die Notwendigkeit unabweislich geworden, die Grundlagen dieses Werkes auf eine dauerhafte Weise zu sichern. Eine Verfassung, welche nicht bloß die in Kremsier vertretenen Länder, sondern das ganze Reich im Gesamtverbande umschließen soll, ist es, was die Völker Österreichs mit gerechter Ungeduld von Uns erwarten. Hierdurch ist das Verfassungswerk über die Grenzen des Berufes dieser Versammlung hinausgetreten.

Wir haben daher beschlossen für die Gesamtheit des Reiches, Unseren Völkern diejenigen Rechte, Freiheiten und politischen Institutionen aus freier Bewegung und eigener kaiserlicher Macht zu verleihen, welche Unser erhabener Oheim und Vorfahr Kaiser Ferdinand 1. und Wir selbst ihnen zugesagt und die Wir nach Unserem besten Wissen und Gewissen als die heilsamsten und förderlichsten für das Wohl Österreichs erkannt haben. Wir verkündigen demnach unter heutigem Tage die Verfassungsurkunde für das einige und unteilbare Kaisertum Österreich, schließen hierdurch die Versammlung des Reichstags zu Kremsier lösen denselben auf und verordnen, dass dessen Mitglieder sofort nach Veröffentlichung dieses Beschlusses auseinander gehen.

Die Einheit des ganzen mit der Selbständigkeit und freien Entwickelung seiner Teile, eine starke, das Recht und die Ordnung schützende Gewalt über das gesamte Reich mit der Freiheit des Einzelnen, der Gemeinden, der Länder Unserer Krone und der verschiedenen Nationalitäten in Einklang zu bringen – die Begründung einer kräftigen Verwaltung, welche gleich weit von beengender Zentralisation und zersplitternder Auflösung, den edlen Kräften des Landes hinreichenden Spielraum gewährt und den Frieden nach außen und innen zu schützen weiß, die Schaffung eines sparsamen, die Lasten der Staatsbürger möglichst erleichternden – durch Öffentlichkeit gewährleisteten Staatshaushaltes, – die vollständige Durchführung der Entlastung des Grundbesitzes gegen billige Entschädigung unter Vermittelung des Staates, die Sicherung der echten Freiheit durch das Gesetz, dies sind die Grundsätze, von welchen Wir Uns bei Verleihung der gegenwärtigen Verfassungsurkunde leiten ließen.

Völker Österreichs! Fast allenthalben in Europa ist die bürgerliche Gesellschaft erschüttert bis in ihre Grundfesten, fast allenthalben mit Auflösung bedroht durch die rastlosen Anstrengungen einer verbrecherischen Partei. Allein so groß auch die Gefahren sind, denen Österreich, denen Europa ausgesetzt ist, Wir zweifeln nicht an einer großen, segensreichen Zukunft des Vaterlandes.

Wir vertrauen dabei auf den Beistand des allmächtigen Gottes, der Unser Kaiserhaus nie verlassen hat. Wir vertrauen auf den guten Willen und die Treue Unserer Völker, denn unter ihnen bilden die Wohlgesinnten die unermessliche Mehrzahl. Wir vertrauen auf die Tapferkeit und Ehre Unserer ruhmwürdigen Armee.

Völker Österreichs! Schart euch um eueren Kaiser, umgeht ihn mit euerer Anhänglichkeit und tätigen Mitwirkung, und die Reichsverfassung wird kein toter Buchstabe bleiben. Sie wird zum Bollwerke werden euerer Freiheit, zur Bürgschaft für die Macht, den Glanz, die Einheit der Monarchie. Groß ist das Werk, aber gelingen wird es den „vereinten Kräften“.

So gegeben in Unserer königlichen Hauptstadt Olmütz den vierten März im .Jahre des Heils eintausendachthundertneunundvierzig, Unserer Reiche im ersten.

Franz Joseph I.

Schwarzenberg, Stadion, Krauss, Bach, Cordon,
Bruck, Thinnfeld, Kulmer

Kaiserliches Patent vom 4. März 1849, die
Reichsverfassung für das Kaisertum Österreich
enthalten
aufgehoben durch
das Kaiserliche Patent vom 31. Dezember 1851,

womit die Verfassungs-Urkunde vom 4. März 1849, Nr. 150 des R. G. B., außer Gesetzeskraft erklärt, jedoch die Gleichheit aller Staats-Angehörigen vor dem Gesetze, sowie die Unzulässigkeit und die Abstellung jedes bäuerlichen Untertänigkeits- oder Hörigkeits-Verbandes und der damit verbundenen Leistungen ausdrücklich bestätiget, ferner für die zunächst wichtigsten und dringendsten Richtungen der organischen Gesetzgebung eine Reihe von Grundsätzen festgestellt bis zur Kundmachung der hiernach auszuarbeitenden Gesetze aber die Beobachtung der dermalen in Wirksamkeit bestehenden Gesetze angeordnet wird
(Silvesterpatent“).

I. Abschnitt.
Von dem Reiche

§ 1. Das Kaisertum Österreich besteht aus folgenden Kronländern:

Dem Erzherzogtum Österreich ob und unter der Enns, dem Herzogtum Salzburg, dem Herzogtum Steiermark, dem Königreiche Illirien, bestehend: aus dem Herzogtum Kärnten, dem Herzogtum Krain, der gefürsteten Grafschaft Görz und Gradiska, der Markgrafschaft Istrien und der Stadt Triest mit ihrem Gebiete, – der gefürsteten Grafschaft Tirol und Vorarlberg, dem Königreiche Böhmen, der Markgrafschaft Mähren, dem Herzogtum Ober- und Niederschlesien, den Königreichen Galizien und Lodomerien mit den Herzogtümern Auschwitz und Zator und dem Großherzogtum Krakau, dem Herzogtum Bukowina, den Königreichen Dalmatien, Kroatien und Slawonien mit dem kroatischen Küstenlande, der Stadt Fiume und dem dazu gehörigen Gebiete, dem Königreiche Ungarn, dem Großfürstentum Siebenbürgen mit Inbegriff des Sachsenlandes und der wieder einverleibten Gespannschaften Krászna, Mittel-Szolnok und Zárand, dann dem Distrikte Kövar und der Stadt Ziláh (Zillenmarkt), den Militärgrenzgebieten und dem lombardisch-venetianischen Königreiche.

§ 2. Diese Kronländer bilden die freie, selbstständige, unteilbare und unauflösbare konstitutionelle österreichische Erbmonarchie.

§ 3. Wien ist die Hauptstadt des Kaiserreiches und der Sitz der Reichsgewalt.

§ 4. Den einzelnen Kronländern wird ihre Selbständigkeit innerhalb jener Beschränkungen gewährleistet, welche diese Reichsverfassung feststellt.

§ 5. Alle Volksstämme sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache.

§ 6. Die Grenzen des Reiches und der einzelnen Kronländer dürfen nur durch ein Gesetz verändert werden.

§ 7. Das ganze Reich ist ein Zoll- und Handelsgebiet. Binnenzölle dürfen unter keinem Titel eingeführt werden, und wo solche zwischen einzelnen Gebietsteilen des Reiches gegenwärtig bestehen, hat deren Aufhebung so bald als möglich zu erfolgen. Die Aussonderung einzelner Orte oder Gebietsteile aus dem Zollgebiete und der Einschluss fremder Gebiete in dasselbe bleibt der Reichsgewalt vorbehalten.

§ 8. Die Wappen und Farben des Kaisertum und der einzelnen Kronländer werden beibehalten.

II. Abschnitt.
Von dem Kaiser.

§ 9. Die Krone des Reiches und jedes einzelnen Kronlandes ist in Gemäßheit der pragmatischen Sanktion und der österreichischen Hausordnung erblich in dem Hause Habsburg-Lothringen.

§ 10. Die Bestimmungen der Hausgesetze über die Großjährigkeit des Thronfolgers, dann über die Einsetzung einer Vormundschaft oder Regentschaft bleiben in Wirksamkeit.

§ 11. Der Kaiser nimmt zu seinem bisherigen Titel noch jenen eines Großherzogs von Krakau und eines Herzogs der Bukowina an.

§ 12. Der Kaiser wird als Kaiser von Österreich gekrönt. Ein besonderes Statut wird diesfalls das Nähere bestimmen.

§ 13. Der Kaiser beschwört bei der Krönung die Verfassung. welcher Schwur von seinen Nachfolgern bei der Krönung, sowie von dem Regenten bei Antritt der Regentschaft geleistet wird.

§ 14. Der Kaiser ist geheiligt, unverletzlich und unverantwortlich.

§ 15. Der Kaiser führt den Oberbefehl über die gesamte bewaffnete Macht entweder persönlich oder durch seine Feldherren.

§ 16. Der Kaiser entscheidet über Krieg und Frieden.

§ 17. Der Kaiser empfängt und schickt Gesandte und schließt mit fremden Mächten Verträge.

Bestimmungen in solchen Verträgen, welche dem Reiche neue Lasten auflegen. bedürfen der Zustimmung des Reichstages.

§ 18. Der Kaiser verkündet die Gesetze und erlässt die bezüglichen Verordnungen.

Jede Verfügung bedarf der Gegenzeichnung eines verantwortlichen Ministers.

§ 19. Der Kaiser ernennt und entlässt die Minister, besetzt Ämter in allen Zweigen des Staatsdienstes und verleiht den Adel, Orden und Auszeichnungen.

§ 20. Im ganzen Reiche wird im Namen des Kaisers Recht gesprochen.

§ 21. Dem Kaiser gebührt das Recht der Begnadigung, der Strafmilderung und der Amnestierung, vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen in Ansehung der Minister.

§ 22. Das Münzrecht wird im Namen des Kaisers ausgeübt.

III. Abschnitt.
Von dem Reichsbürgerrechte.

§ 23. Für alle Völker des Reiches gibt es nur ein allgemeines österreichisches Reichsbürgerrecht. Ein Reichsgesetz wird bestimmen, unter welchen Bedingungen das österreichische Reichsbürgerrecht erworben, ausgeübt und verloren wird.

§ 24. In keinem Kronlande darf zwischen seinen Angehörigen und jenen eines anderen Kronlandes ein Unterschied im bürgerlichen oder peinlichen Rechte, im Rechtsverfahren oder in der Verteilung der öffentlichen Lasten bestehen.

Die rechtskräftigen Urteile der Gerichte aller österreichischen Kronländer sind in allen solchen gleich wirksam und vollziehbar.

§ 25. Die Freizügigkeit der Person innerhalb der Reichsgrenzen unterliegt keiner Beschränkung. Die Freiheit der Auswanderung ist von Staatswegen nur durch die Wehrpflicht beschränkt.

§ 26. Jede Art von Leibeigenschaft, jeder Untertänigkeits- oder Hörigkeitsverband ist für immer aufgehoben.

Die Betretung des österreichischen Bodens oder eines österreichischen Schiffes macht jeden Sklaven frei.

§ 27. Alle österreichischen Reichsbürger sind vor dem Gesetze gleich und unterstehen einem gleichen persönlichen Gerichtsstande.

§ 28. Die öffentlichen Ämter und Staatsdienste sind für alle zu denselben Befähigten gleich zugänglich.

§ 29. Das Eigentum steht unter dem Schutze des Reiches; es kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes beschränkt oder entzogen werden.

§ 30. Jeder österreichische Reichsbürger kann in allen Teilen des Reiches Liegenschaften jeder Art erwerben, sowie jeden gesetzlich erlaubten Erwerbszweig ausüben.

§ 31. Die Freizügigkeit des Vermögens innerhalb der Reichsgrenzen unterliegt keiner Beschränkung. Abfahrtsgelder von den in das Ausland abziehenden Vermögenschaften dürfen nur in Anwendung der Reciprocität erhoben werden.

§ 32. Jede aus dem Untertänigkeits- oder Hörigkeitsverbande oder aus dem Titel des geteilten Eigentums auf Liegenschaften haftende Schuldigkeit oder Leistung ist ablösbar, und es darf für die Zukunft bei Teilung des Eigentums keine Liegenschaft mit einer unablösbaren Leistung belastet werden.

IV. Abschnitt.
Von der Gemeinde.

§ 33. Der Gemeinde werden als Grundrechte gewährleistet:
a) die Wahl ihrer Vertreter,
b) die Aufnahme neuer Mitglieder in den Gemeindeverband,
c) die selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten,
d) die Veröffentlichung der Ergebnisse ihres Haushaltes und in der Regel
e) die Öffentlichkeit der Verhandlungen ihrer Vertreter.

Die nähere Bestimmung dieser Grundrechte der Gemeinden und insbesondere die Bedingungen für die Aufnahme in den Verband einer Gemeinde enthalten die Gemeindegesetze.

§ 34. Die Einrichtung von Bezirks- und Kreisgemeinden zur Besorgung ihrer gemeinsamen inneren Angelegenheiten wird ein besonderes Gesetz bestimmen.

V. Abschnitt.
Von den Landesangelegenheiten.

§ 35. Als Landesangelegenheiten werden erklärt:

I. alle Anordnungen in Betreff
1. der Landeskultur,
2. der öffentlichen Bauten, welche aus Landesmitteln bestritten werden,
3. der Wohltätigkeitsanstalten im Lande,
4. des Voranschlages und Rechnungslegung des Landes
a) sowohl hinsichtlich der Landeseinnahmen aus der Verwaltung des dem Lande gehörigen Vermögens, der Besteuerung für Landeszwecke und der Benutzung des Landeskredits, als
b) rücksichtlich der Landesausgaben, der ordentlichen wie der außerordentlichen.

II. die näheren Anordnungen inner der Grenzen und der Reichsgesetze in Betreff
1. die Gemeindeangelegenheiten,
2. der Kirchen- und Schulangelegenheiten,
3. der Vorspannsleistung, dann der Verpflegung und Einquartierung des Heeres, endlich

III. die Anordnungen über jene Gegenstände, welche durch Reichsgesetze dem Wirkungskreise der Landesgewalt zugewiesen werden.

VI. Abschnitt.
Von den Reichsangelegenheiten.

§ 36. Als Reichsangelegenheiten werden erklärt:
a) alle das regierende Kaiserhaus und die Rechte der Krone betreffenden Angelegenheiten,
b) die völkerrechtliche Vertretung des Reiches und aller seiner Interessen, insbesondere der Abschluss von Verträgen mit fremden Staaten,
c) die Beziehungen des Staates zur Kirche,
d) das höhere Unterrichtswesen,
e) das gesamte Heerwesen zu Land und die Seemacht,
f) der Reichshaushalt einschließlich der Krongüter und Reichsdomänen, unter welchen das bisher durch die Benennungen „Staats-, Kameral- oder Fiskalgüter“ bezeichnete Vermögen verstanden wird, die Reichsbergwerke, dann die Reichsmonopole, der Reichskredit und alle Steuern und Abgaben zu Reichszwecken,
g) alle Gewerbs- und Handelsangelegenheiten einschließlich der Schifffahrt, der Zölle und Banken, des Münz- und Bergwesens und der Regelung von Maß und Gewicht,
h) die Reichsverbindungen durch Wasser- und Landstraßen, Eisenbahnen, Post und Telegraphen, überhaupt alle Reichsbauten,
i) alle die Wahrung der inneren Sicherheit des Reiches betreffenden Einrichtungen und Maßregeln, endlich
k) alle Angelegenheiten, welche nicht durch die Reichsverfassung oder Reichsgesetze als Landesangelegenheiten erklärt werden.

VII. Abschnitt.
Von der gesetzgebenden Gewalt.

§ 37. Die gesetzgebende Gewalt wird in Bezug auf die Reichsangelegenheiten von dem Kaiser im Vereine mit dem Reichstage, in Ansehung der Landesangelegenheiten von dem Kaiser im Vereine mit den Landtagen ausgeübt.

VIII. Abschnitt.
Von dem Reichstage.

§ 38. Der allgemeine österreichische Reichstag soll aus zwei Häusern, dem Oberhause und dem Unterhause, bestehen und wird alljährlich im Frühjahre von dem Kaiser berufen.

§ 39. Der Reichstag versammelt sich in Wien, kann aber von dem Kaiser auch an einen andern Ort berufen werden.

§ 40. Das Oberhaus wird gebildet aus Abgeordneten, welche für jedes Kronland von dessen Landtage gewählt werden.

§ 41. Die Zahl der Abgeordneten für das Oberhaus beträgt die Hälfte der verfassungsmäßigen Zahl des Unterhauses.

Die Verteilung dieser Zahl wird durch das Wahlgesetz dergestalt bestimmt werden, dass jedes Kronland zwei Mitglieder seines Landtages als Abgeordnete zu senden hat und die übrige Zahl nach dem Verhältnisse der Bevölkerung unter alle Kronländer verteilt wird.

§ 42. Die beiden aus jedem Kronlande zum Reichstage abgeordneten Landtagsmitglieder müssen im Vollgenusse der bürgerlichen und politischen Rechte, österreichische Reichsbürger wenigstens seit fünf Jahren und mindestens vierzig Jahre alt sein.

Die anderen Mitglieder des Oberhauses können von den Landtagen nur aus jenen Reichsbürgern gewählt werden, welche die vorstehenden allgemeinen persönlichen Eigenschaften besitzen und im Reiche wenigstens fünfhundert Gulden Konventionsmünze an direkter Steuer bezahlen.

In den Kronländern, wo die Zahl solcher Reichsbürger, welche fünfhundert Gulden Konventionsmünze direkte Steuer bezahlen, nicht das Verhältnis von eins auf sechstausend Seelen erreicht, wird sie durch die der Besteuerung nach zunächst folgenden Reichsbürger des Kronlandes bis zu diesem Verhältnisse vollzählig gemacht.

§ 43. Das Unterhaus wird durch direkte Volkswahl gebildet.

Wahlberechtigt ist jeder österreichische Reichsbürger, welcher großjährig, im Vollgenusse der bürgerlichen und politischen Rechte ist, und welcher entweder den durch das Wahlgesetz bestimmten Jahresbetrag an direkter Steuer bezahlt oder ohne Zahlung einer direkten Steuer nach seiner persönlichen Eigenschaft in einer Gemeinde eines österreichischen Kronlandes das aktive Wahlrecht besitzt.

§ 44. Die Wahlen für das Unterhaus geschehen nach den Bezirken und an den Orten. welche das Wahlgesetz bestimmt; dasselbe setzt auch die Zahl der Abgeordneten nach der Bevölkerung fest. Diese Zahl ist dergestalt zu bestimmen, dass auf je einhunderttausend Seelen wenigstens ein Abgeordneter entfällt.

Das Wahlgesetz wird den in dem vorstehenden Paragraph erwähnten Jahresbetrag der direkten Steuer in jedem Kronlande mit Beachtung der eigentümlichen Verhältnisse desselben festsetzen und dabei als Grundsatz festhalten, dass derselbe für das Land und für die Städte bis zehntausend Seelen nicht unter fünf Gulden Konventionsmünze und für Städte über zehntausend Seelen nicht unter zehn Gulden Konventionsmünze betragen und in keinem Falle höher als mit zwanzig Gulden Konventionsmünze bestimmt werden darf.

§ 45. Um in das Unterhaus gewählt werden zu können, muss man selbst wahlberechtigt, im Vollgenusse der bürgerlichen und politischen Rechte, österreichischer Reichsbürger wenigstens seit fünf Jahren und mindestens 30 Jahre alt sein.

§ 46. Jede Stimmgebung bei den Wahlen zum Ober- und Unterhause ist mündlich und öffentlich.

§ 47. Gewählten, welche ein öffentliches Amt bekleiden, darf der Urlaub nicht versagt werden.

§ 48. Nimmt ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Staatsamt an. so muss es sich einer neuen Wahl unterziehen.

§ 49. Die Mitglieder des Oberhauses werden auf die Dauer von zehn, jene des Unterhauses auf die Dauer von fünf auf einander folgenden Jahren gewählt. Sie sind nach Ablauf ihres Mandats wieder wählbar.

§ 50. Die Mitglieder des Oberhauses empfangen keine Entschädigung, jene des Unterhauses erhalten für jede Session eine Entschädigungspauschale.

§ 51. Niemand kann zugleich Mitglied des Oberhauses und des Unterhauses sein.

§ 52. Von jedem Mitgliede des Reichstages wird bei dem Eintritte in denselben der Eid dem Kaiser und auf die Reichsverfassung geleistet.

§ 53. Die Abgeordneten dürfen keine Instruktionen annehmen und nur persönlich ihr Stimmrecht ausüben.

§ 54. Jedem Hause des Reichstags steht das Recht zu, die Wahlmandate seiner Mitglieder zu prüfen und über deren Zulassung zu entscheiden.

§ 55. Jedes Haus ernennt durch absolute Stimmenmehrheit seinen Präsidenten und seine Vizepräsidenten für die Dauer der Session.

§ 56. Kein Haus kann einen Beschluss fassen, wenn nicht die Mehrheit der verfassungsmäßigen Zahl seiner Mitglieder versammelt ist.

§ 57. Geheime Stimmgebung – mit Ausnahme der vorzunehmenden Wahlen – findet in keinem Hause statt.

§ 58. Ein Beschluss kann nur durch absolute Stimmenmehrheit zustande kommen. Bei Stimmengleichheit ist der in Beratung gezogene Antrag als verworfen anzusehen.

§ 59. Die Reichstagssitzungen sind öffentlich, doch hat jedes Haus das Recht, über den von dem Präsidenten oder von wenigstens zehn Mitgliedern gestellten Antrag vertrauliche Sitzungen zu halten.

§ 60. Nur Reichstagsmitglieder können in dem Hause, welchem sie angehören, Bittschriften einbringen.

§ 61. Deputationen dürfen auf dem Reichstage nicht zugelassen werden.

§ 62. Kein Mitglied des Reichstages darf außerhalb des Reichstages wegen Äußerungen in den Sitzungen zur Rechenschaft gezogen noch auch gerichtlich verfolgt werden.

§ 63. Ein Mitglied des Reichstages darf, solange derselbe versammelt ist, nur mit Genehmigung des Hauses, welchem dasselbe angehört. verhaftet oder verfolgt werden, mit Ausnahme der Ergreifung auf frischer Tat.

§ 64. Jedes Haus hat seine Geschäftsordnung innerhalb der durch diese Verfassung bestimmten Grundsätze selbst festzustellen. Die geschäftlichen Beziehungen des Ober- und Unterhauses zu einander werden durch eine Übereinkunft der beiden Häuser geregelt.

§ 65. Dem Kaiser sowie jedem der beiden Häuser steht das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen.

§ 66. Die Übereinstimmung des Kaisers und der beiden Häuser des Reichstages ist zu jedem Gesetze erforderlich. Anträge auf Erlassung von Gesetzen, welche durch eines der beiden Häuser oder durch den Kaiser abgelehnt worden sind, können in derselben Session nicht wieder vorgebracht werden.

§ 67. Dem Reichstage steht die Teilnahme an der Gesetzgebung über jene Angelegenheiten zu, welche in dieser Reichsverfassung als Reichsangelegenheiten bezeichnet sind.

§ 68. An der Gesetzgebung über die Reichsangelegenheiten nehmen die Abgeordneten aus allen Kronländern Teil. Diese gemeinsame Teilnahme findet auch rücksichtlich der Gesetzgebung über das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung und das Gerichtsverfahren statt.

In sofern aber in Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien und Slawonien samt dem kroatischen Küstenlande und Fiume für die eben angeführten Zweige der Gesetzgebung eigene, von jener für die übrigen Kronländer abweichende gesetzliche Normen und Einrichtungen bestehen, wird für diesen Teil der Gesetzgebung die Wirksamkeit der Landtage der zuerst ernannten Kronländer aufrecht erhalten.

Es wird jedoch eine Aufgabe der Landtage dieser Kronländer sein, die bisherige Gesetzgebung in den erwähnten Zweigen einer Revision zu unterziehen, um baldigst die wünschenswerte Übereinstimmung der Gesetzgebung in allen Teilen des Reiches herbeizuführen.

Bis dieses erfolgt, haben die Abgeordneten desjenigen Kronlandes, in welchem eine von den übrigen Kronländern verschiedene Gesetzgebung in den genannten Zweigen besteht, sich der Teilnahme an den Verhandlungen hierüber am Reichstage zu enthalten.

§ 69. Der Kaiser vertagt und schließt den Reichstag, kann auch zu jeder Zeit die Auflösung des ganzen Reichstages oder eines seiner Häuser anordnen.

Wird der Reichstag vertagt oder auch nur eines der Häuser aufgelöst. so sind die Sitzungen in beiden Häusern also gleich einzustellen.

Die Wiederberufung des Reichstages muss im Falle der Auflösung innerhalb drei Monaten nach derselben erfolgen.

IX. Abschnitt.
Von den Landesverfassungen und den Landtagen.

§ 70. Die im § 1 aufgeführten Kronländer werden in den Angelegenheiten, welche die Reichsverfassung oder die Reichsgesetze als Landesangelegenheiten erklären, von den Landtagen vertreten.

§ 71. Die Verfassung des Königreichs Ungarn wird insoweit aufrecht erhalten, dass die Bestimmungen. welche mit dieser Reichsverfassung nicht im Einklange stehen, außer Wirksamkeit treten, und dass die Gleichberechtigung aller Nationalitäten und landesüblichen Sprachen in allen Verhältnissen des öffentlichen und bürgerlichen Lebens durch geeignete Institutionen gewährleistet wird. Ein besonderes Statut wird diese Verhältnisse regeln.

§ 72. Der Woiwodschaft Serbien werden solche Einrichtungen zugesichert, welche sich zur Wahrung ihrer Kirchengemeinschaft und Nationalität auf ältere Freiheitsbriefe und kaiserliche Erklärungen der neuesten Zeit stützen.

Die Vereinigung der Woiwodschaft mit einem anderen Kronlande wird nach Einvernehmung der Abgeordneten derselben durch Eine besondere Verfügung festgestellt werden.

§ 73. In den Königreichen Kroatien und Slawonien mit Einschluss des dazu gehörigen Küstenlandes, dann der Stadt Fiume und dem dazu gehörigen Gebiete werden deren eigentümliche Institutionen innerhalb des durch diese Reichsverfassung festgestellten Verbandes dieser Länder mit dem Reiche in völliger Unabhängigkeit derselben von dem Königreiche Ungarn aufrecht erhalten. Abgeordnete aus Dalmatien werden mit der Landeskongregation dieser Königreiche unter Vermittlung der vollziehenden Reichsgewalt über den Anschluss und die Bedingungen desselben verhandeln und das Ergebnis der Sanktion des Kaisers unterziehen.

§ 74. Die innere Gestaltung und Verfassung des Großfürstentums Siebenbürgen wird nach dem Grundsatze der völligen Unabhängigkeit von dem Königreiche Ungarn und der Gleichberechtigung aller das Land bewohnenden Nationen im Einklange mit dieser Reichsverfassung durch ein neues Landesstatut festgestellt werden.

Die Rechte der sächsischen Nation werden innerhalb dieser Reichsverfassung aufrecht erhalten.

§ 75. Das zum Schutze der Integrität des Reiches bestehende Institut der Militärgrenze wird in seiner militärischen Organisation aufrecht erhalten und bleibt als ein integrierender Bestandteil des Reichsheeres der vollziehenden Reichsgewalt unterstellt. Ein eigenes Statut wird den Bewohnern der Militärgrenze in Bezug auf ihre Besitzverhältnisse dieselben Erleichterungen gewährleisten. welche den Angehörigen der übrigen Kronländer erteilt wurden.

§ 76. Ein besonderes Statut wird die Verfassung des lombardisch-venetianischen Königreiches und das Verhältnis dieses Kronlandes zum Reiche feststellen.

§ 77. Alle übrigen Kronländer erhalten eigene Landesverfassungen.

Die ständischen Verfassungen treten außer Wirksamkeit.

§ 78. Die Zusammensetzung der Landtage hat mit Beachtung aller Landesinteressen zu geschehen. Die Abgeordneten zu denselben werden durch direkte Wahl berufen.

§ 79. Die zum Wirkungskreise der Landesvertretung gehörigen Befugnisse werden entweder durch die Landtage selbst oder durch die von ihnen gewählten Landesausschüsse geübt.

§ 80. Jedem Landtage wird das Recht der Teilnahme an der Gesetzgebung in Landesangelegenheiten und des Gesetzesvorschlages, sowie das Recht, die Ausführung der Landesgesetze zu überwachen, gewährleistet.

Die Übereinstimmung des Kaisers und des Landtages ist zu jedem Landesgesetze erforderlich.

§ 81. Abänderungen der Landesverfassungen sollen in den Landtagen. welche zuerst werden berufen werden, im gewöhnlichen Wege der Gesetzgebung beantragt werden können. In den folgenden Landtagen soll zu einem Beschlusse über solche Abänderungen die Gegenwart von mindestens drei Vierteilen aller Abgeordneten und die Zustimmung von mindestens zwei Dritteilen der Anwesenden erforderlich sein.

§ 82. Die näheren Bestimmungen über die Bildung und den Wirkungskreis der Landtage und Landesausschüsse werden die Landesverfassungen und Wahlgesetze dieser Kronländer feststellen.

§ 83. Alle Verfassungen der einzelnen Kronländer, welche das Reich bilden, sollen im Laufe des Jahres 1849 in Wirksamkeit treten und müssen den ersten allgemeinen österreichischen Reichstage vorgelegt werden, welcher nach deren Einführung sofort berufen wird.

X. Abschnitt.
Von der vollziehenden Gewalt.

§ 84. Die vollziehende Gewalt im ganzen Reiche und in allen Kronländern ist eine und unteilbare. Sie steht ausschließend dem Kaiser zu, der sie durch verantwortliche Minister und die denselben untergeordneten Beamten und Bestellten ausübt.

§ 85. Wird einer Körperschaft oder wem immer ein Teil der vollziehenden Gewalt übertragen, so kann dieses nur widerruflich stattfinden, und die Krone ist stets berechtigt, für die Ausübung des übertragenen Teiles der vollziehenden Gewalt eine andere Vorkehrung zu treffen.

§ 86. Die Vollziehung und Handhabung der Landesgesetze, sowie die Ausführung der von den Landtagsausschüssen innerhalb ihres verfassungsmäßigen Wirkungskreises erlassenen Entscheidungen steht der vollziehenden Gewalt zu.

§ 87. Wenn der Reichstag oder der Landtag nicht versammelt ist, und dringende, in den Gesetzen nicht vorhergesehene Maßregeln mit Gefahr auf dem Verzuge für das Reich oder für ein Kronland erforderlich sind, so ist der Kaiser berechtiget, die nötigen Verfügungen unter Verantwortlichkeit des Ministeriums mit provisorischer Gesetzeskraft zu treffen, jedoch mit der Verpflichtung, darüber dem Reichs- oder beziehungsweise Landtage die Gründe und Erfolge darzulegen.

§ 88. Die Minister haben die Verwaltung im Reiche und in den einzelnen Kronländern zu leiten, die bezüglichen Verordnungen zu erlassen und die Handhabung der Reichs- und Landesgesetze zu überwachen.

§ 89. Den Ministern steht es zu, unter ihrer Verantwortung in jenen Angelegenheiten, welche den Gemeinden oder den Landtagen und deren Organen zur selbständigen Entscheidung überlassen sind, die Ausführung von Verwaltungsmaßregeln, welche den Gesetzen und dem Gesamtwohle entgegen sind, einzustellen oder zu untersagen.

§ 90. Die Minister haben das Recht, im Reichstage zu erscheinen und jederzeit das Wort zu nehmen; sie können auch für bestimmte Verhandlungen sich durch abgeordnete Kommissäre vertreten lassen.

An den Abstimmungen des Reichstages nehmen sie nur teil, wenn sie Mitglieder desselben sind.

§ 91. Über die Verantwortlichkeit der Minister, über das gerichtliche Verfahren gegen dieselben, dann über deren Bestrafung im Falle der Verurteilung wird ein besonderes Gesetz bestimmen.

§ 92. Für die einzelnen Kronländer ernennt der Kaiser Statthalter, welche als Organe der vollziehenden Gewalt die Handhabung der Reichs- und Landesgesetze zu überwachen und die Leitung der inneren Angelegenheiten in dem Umfange ihres amtlichen Gebietes zu besorgen berufen und verpflichtet sind.

§ 93. Die Statthalter haben das Recht, in den Landtagen selbst oder durch ihre abgeordneten Kommissäre zu erscheinen und jederzeit das Wort zu nehmen.

An den Abstimmungen der Landtage nehmen sie nur teil, wenn sie Mitglieder derselben sind.

§ 94. Die Statthalter sind in ihrer Geschäftsführung dafür verantwortlich, dass die Reichsgesetze und die Gesetze des betreffenden Kronlandes genau beobachtet und gehandhabt werden.

§ 95. Die vollziehende Reichsgewalt kann die Statthalter und alle Behörden der einzelnen Kronländer auch mit der Besorgung der Reichsangelegenheiten beauftragen oder solche durch andere Organe in allen Teilen des Reiches verwalten lassen.

XI Abschnitt.
Von dem Reichsrate.

§ 96. An die Seite der Krone und der vollziehenden Reichsgewalt wird ein Reichsrat eingesetzt, dessen Bestimmung ein beratender Einfluss auf alle jene Angelegenheiten sein soll, worüber er von der vollziehenden Reichsgewalt um sein Gutachten angegangen wird.

§ 97. Die Mitglieder des Reichsrates werden von dem Kaiser ernannt; bei deren Ernennung ist auf die verschiedenen Teile des Reiches mögliche Rücksicht zu nehmen.

§ 98. Ein besonderes Gesetz wird die Einrichtung und den Wirkungskreis des Reichsrates regeln.

XII. Abschnitt.
Von der richterlichen Gewalt.

§ 99. Die richterliche Gewalt wird selbständig von den Gerichten geübt.

§ 100. Alle Gerichtsbarkeit geht vom Reiche aus. Es sollen in Hinkunft keine Patrimonialgerichte bestehen.

§ 101. Kein vom Staate bestelltet Richter darf nach seiner definitiven Bestellung außer durch richterlichen Spruch von seinem Amte zeitweilig entfernt oder entlassen noch auch ohne sein Ansuchen an einen anderen Dienstort überwiesen oder in den Ruhestand versetzt werden.

Diese letztere Bestimmung findet jedoch auf Versetzungen in den Ruhestand. welche wegen eingetretener Dienstesuntauglichkeit nach den Vorschriften des Gesetzes erfolgen, sowie auf jene Veränderungen im Richterpersonale, welche durch Änderung in der Einrichtung der Gerichte notwendig werden, keine Anwendung.

§ 102. Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhängig gestellt werden. Über Kompetenz-Konflikte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden entscheidet die durch das Gesetz zu bestimmende Behörde.

§ 103. Das Gerichtsverfahren soll in der Regel öffentlich und mündlich sein.

Die Ausnahmen von der Öffentlichkeit bestimmt im Interesse der Ordnung und Sittlichkeit das Gesetz.

In Strafsachen soll der Anklageprozess gelten, Schwurgerichte sollen in allen schweren Verbrechen, welche das Gesetz näher bezeichnen wird, dann bei politischen und Pressevergehen erkennen.

§ 104. Die Durchführung der vorgedachten allgemeinen Grundsätze, nach welchen in Hinkunft die Rechtspflege eingerichtet und das Richteramt ausgeübt werden soll, sowie deren Einführung in den einzelnen Kronländern unter Beachtung der eigentümlichen Verhältnisse derselben bleibt besonderen Reichs- und beziehungsweise (§ 68) Landesgesetzen vorbehalten.

§ 105. Die Bestimmungen der Hausgesetze über den Gerichtsstand der Glieder des kaiserlichen Hauses bleiben aufrecht.

XIII. Abschnitt.
Von dem Reichsgerichte.

§ 106. Es soll ein oberstes Reichsgericht eingesetzt werden, welches von Amtswegen oder auf geführte Klage in folgenden Fällen einzuschreiten haben wird:

I. als Schiedsgericht: bei Streitfragen zwischen dem Reiche und den einzelnen Kronländern oder zwischen einzelnen Kronländern unter sich, insofern der Gegenstand nicht in den Bereich der gesetzgebenden Reichsgewalt gehört;

II. als oberste Instanz: bei Verletzungen der politischen Rechte;

III. als untersuchende und oberste richtende Behörde:
a) bei Anklagen gegen die Minister und Statthalter, dann
b) bei Verschwörungen und Attentaten gegen den Monarchen oder Regenten und in Fällen von Hoch- und Landesverrat.

§ 107. Der Sitz des Reichsgerichtes ist in Wien, und es wird durch ein besonderes Gesetz bestimmt, wie die Bestellung der Richter mit Rücksicht auf die einzelnen Kronländer stattfinden, wie groß die Zahl derselben und wie das Verfahren des Gerichtes sein soll.

XIV. Abschnitt.
Von dem Reichshaushalte.

§ 108. Alle Steuern und Abgaben für Reichs- und Landeszwecke werden durch Gesetze bestimmt.

§ 109. Alle Einnahmen und Ausgaben des Reiches müssen jährlich in einem Voranschlage ersichtlich gemacht werden, welcher durch ein Gesetz festgestellt wird.

Allfällige Überschreitungen des Voranschlages sind der nachträglichen Anerkennung von Seite des Reichstages zu unterziehen.

§ 110. Die Staatsschuld ist vom Reiche gewährleistet.

§ 111. Die allgemeine Rechnung über den Reichshaushalt jeden Jahres wird nebst einer Übersicht der Staatsschulden von dem obersten Rechnungshofe dem Reichstage vorgelegt.

§ 112. Ein besonderes Gesetz wird die Einrichtungen und Befugnisse des obersten Rechnungshofes feststellen.

XV. Abschnitt.
Von der bewaffneten Macht.

§ 113. Die bewaffnete Macht ist bestimmt, das Reich gegen äußere Feinde zu verteidigen und im Innern die Aufrechthaltung der Ordnung und die Ausführung der Gesetze zu sichern.

§ 114. Im Innern kann zu diesen Zwecken die bewaffnete Macht nur über Aufforderung der Zivilbehörden und in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen einschreiten.

§ 115. Die bewaffnete Macht ist wesentlich gehorchend.

Kein Teil derselben darf gemeinsam beraten.

§ 116. Das Gesetz bestimmt den Umfang und die Art der allgemeinen Wehrpflicht zum Landheere und zum Dienste auf der See.

§ 117. Das Heer steht unter der Militärgerichtsbarkeit und dem Militärgesetze.

Die Disziplinarvorschriften für das Land- und Seeheer bleiben in voller Anwendung.

§ 118. Der Eid des Heeres auf die Reichsverfassung wird in den Fahneneid aufgenommen.

§ 119. Die Einrichtung der Bürgerwehr wird durch ein besonderes Gesetz geregelt.

XVI. Abschnitt.
Allgemeine Bestimmungen.

§ 120. In so lange die durch diese Reichsverfassung bedingten organischen Gesetze nicht im verfassungsmäßigen Wege zustande gekommen sind, werden die entsprechenden Verfügungen im Verordnungswege erlassen.

§ 121. Bis die neuen Gesetze und Verordnungen in Wirksamkeit treten, bleiben die bestehenden in kraft.

Die bestehenden Steuern und Abgaben werden fort erhoben, bis neue Gesetze abweichend bestimmen und zur Anwendung kommen.

§ 122. Die Behörden bleiben bis zur Ausführung der sie betreffenden neuen organischen Gesetze und Verordnungen in ihrer Wirksamkeit.

§ 123. Änderungen dieser Reichsverfassung können im ersten Reichstage im gewöhnlichen Wege der Gesetzgebung beantragt werden. In den folgenden Reichstagen ist zu einem Beschlusse über solche Abänderungen in beiden Häusern die Gegenwart von mindestens drei Vierteil aller Mitglieder und die Zustimmung von mindestens zwei Dritteilen der Anwesenden erforderlich.

So gegeben in Unserer königlichen Hauptstadt Olmütz den vierten März im Jahre des Heils eintausendachthundertneunundvierzig, Unserer Reiche im ersten.

Franz Joseph

Schwarzenberg
Stadion
Krauss
Bach
Corden
Bruck
Thinnfeld
Kulmer

Kaiserliches Patent
über die durch die konstitutionelle Staatsform gewährleisteten politischen Grundrechte.
(Grundrechtspatent)
vom 4. März 1849

aufgehoben durch die Beilage III. des Kaiserlichen Patents vom 31. Dezember 1851 („Silvesterpatent“) R.G.Bl. 3/1850

Wir Franz Joseph der Erste,
von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich
etc. etc.,

verordnen für die nach benannten Kronländer des österreichischen Kaiserreiches, nämlich für das Erzherzogtum Osterreich ob und unter der Enns, das Herzogtum Salzburg, das Herzogtum Steiermark, das Königreich Illyrien, bestehend aus den Herzogtümern Kärnten und Krain, der gefürsteten Grafschaft Görz und Gradiska, der Markgrafschaft Istrien und der Stadt Triest mit ihrem Gebiete – für die gefürstete Grafschaft Tirol und Vorarlberg, das Königreich Böhmen, die Markgrafschaft Mähren, das Herzogtum Ober- und Niederschlesien, die Königreiche Galizien und Lodomerien mit den Herzogtümern Auschwitz und Zator und dem Großherzogtume Krakau, für das Herzogtum Bukowina, endlich für das Königreich Dalmatien – in Anerkennung und zum Schutze der den Bewohnern dieser Länder durch die von Uns angenommene konstitutionelle Staatsform gewährleisteten politischen Rechte über Antrag Unseres Ministerrates wie folgt:

§ 1. Die volle Glaubensfreiheit und das Recht der häuslichen Ausübung des Religionsbekenntnisses ist jedermann gewährleistet. Der Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig, doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen.

§ 2. Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung, ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitze und Genusse der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde, ist aber wie jede Gesellschaft den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.

§ 3. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen, ist jeder Staatsbürger berechtiget, der seine Befähigung hierzu in gesetzlicher Weise nachgewiesen hat. Der häusliche Unterricht unterliegt keiner solchen Beschränkung.

§ 4. Für allgemeine Volksbildung soll durch öffentliche Anstalten, und zwar in den Landesteilen, in denen eine gemischte Bevölkerung wohnt, derart gesorgt werden, dass auch die Volksstämme, welche die Minderheit ausmachen, die erforderlichen Mittel zur Pflege ihrer Sprache und zur Ausbildung in derselben erhalten. Der Religionsunterricht in den Volksschulen wird von der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft besorgt. Der Staat führt über das Unterrichts- und Erziehungswesen die Oberaufsicht.

§ 5. Jedermann hat das Recht, durch Wort. Schrift, Druck oder bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Presse darf nicht unter Zensur gestellt werden. Gegen den Missbrauch der Presse wird ein Repressivgesetz erlassen.

§ 6. Das Petitionsrecht steht jedermann zu. Petitionen unter einem Gesamtnamen dürfen nur von Behörden und gesetzlich anerkannten Körperschaften ausgehen.

§ 7. Die österreichischen Staatsbürger haben das Recht, sich zu versammeln und Vereine zu bilden, in so ferne Zweck, Mittel oder Art und Weise der Versammlung oder Vereinigung weder rechtswidrig noch staatsgefährlich sind. Die Ausübung dieses Rechtes, sowie die Bedingungen. unter welchen Gesellschaftsrechte erworben. ausgeübt oder verloren werden, bestimmt das Gesetz.

§ 8. Die Freiheit der Person ist gewährleistet. Die Verhaftung einer Person soll außer im Falle der Ergreifung auf frischer Tat nur in Kraft eines mit Gründen versehenen Befehles geschehen, welcher von dem Richter oder von einer richterliche Funktionen gesetzlich ausübenden Behörde ergangen ist. Jeder solche Verhaftbefehl ist dem Verhafteten sogleich bei seiner Anhaltung oder spätestens vierundzwanzig Stunden nach derselben zuzustellen.

§ 9. Die Sicherheitsbehörde muss jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, binnen achtundvierzig Stunden freilassen oder dem zuständigen Gerichte überweisen.

§ 10. Das Hausrecht ist unverletzlich. Eine Durchsuchung der Wohnung und der Papiere oder eine Beschlagnahme der letzteren ist nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen zulässig.

§ 11. Das Briefgeheimnis darf nicht verletzt, und die Beschlagnahme von Briefen nur in Kriegsfällen oder auf Grund eines richterlichen Befehles vorgenommen werden.

§ 12. Im Falle eines Krieges oder bei Unruhen im Innern können die Bestimmungen der vorstehen den §§ 5 bis einschließlich 11 zeitweilig und örtlich außer Wirksamkeit gesetzt werden.

Ein Gesetz wird das Nähere hierüber bestimmen.

§ 13. Unser Ministerrat wird beauftragt, die zur Durchführung dieser Bestimmungen bis zu dem Zustandekommen organischer Gesetze provisorisch zu erlassenden Verordnungen zu entwerfen und Uns zur Sanktion vorzulegen.

Gegeben in Unserer königlichen Hauptstadt Olmütz d. 4. März 1849.

Franz Joseph I.

Schwarzenberg, Stadion, Krauss, Bach, Cordon,
Bruck, Thinnfeld, Kulmer

Quellenhinweise:

Allgemeines Reichs-Gesetz- und Regierungsblatt für das Kaisertum Österreich, Jg. 1849. S. 148 ff.

Wappen Kaisertum Österreich

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