Das Deutsche Volk in politischer Beziehung und ethnographischer Hinsicht.
Volk
Das Volk (Populus) ist ein nach Abstammung und Sprache, Sitte und Bildung zusammengehöriger Teil der Menschheit. Es wird aber noch Volk und Nation unterschieden und unter ersterem die Gesamtheit der Angehörigen eines Staates verstanden. Auch bezeichnet man als Volk die große Menge der bürgerlichen Gesellschaft im Gegensatz zu den durch politische Stellung, Reichtum und Bildung hervorragenden Klassen.
Nation und Nationalität
Die Nation (lat., Völkerschaft) ist ein nach Abstammung, Sitte und Sprache zusammengehöriger Teil der Menschheit; die Nationalität, die Zugehörigkeit zu diesem Teil. Das Wort Nation wird nur in diesem Sinne, das Wort Volk sowohl in diesem Sinne als auch zur Bezeichnung der Angehörigen eines bestimmten Staates gebraucht. Man kann also deutsches Volk und deutsche Nation sagen, dagegen wohl von einem österreichischen Volk, nicht aber von einer österreichischen Nation sprechen.
In dem Begriff der Nation liegt das Bewusstsein der gemeinsamen Abstammung und der Zusammengehörigkeit: das Nationalgefühl. Ebendieses ist es aber, das zugleich den Gegensatz zwischen der einen und der anderen Nation hervortreten lässt. Kann zudem eine Nation auf eine große Vergangenheit zurückblicken, oder nimmt sie unter den verschiedenen Nationen eine besonders hervorragende Stellung ein, so steigert sich das Nationalgefühl zum Nationalstolz, während sich jener Gegensatz zwischen verschiedenen Nationalitäten zuweilen bis zum Nationalhass verschärft.
Mit dem Nationalgefühl steht der nationale Selbsterhaltungstrieb im Zusammenhang; darum gilt jeder Nation die Nationalfreiheit als höchstes Gut, und die Nationalehre verbietet ihr die freiwillige Unterwerfung unter eine andere Nation. Aus demselben Grund ist auch jede Nation auf die Erhaltung ihrer nationalen Eigentümlichkeiten bedacht, vor allem auf die der Nationalsprache, denn auf dieser beruht zumeist das Wesen der Nation, und sie ist es, welche die Stammesgenossen am engsten verbindet.
Dazu kommt bei den Kulturvölkerschaften eine gemeinsame Nationalliteratur, in der die Nationalsitte ihren besten Ausdruck findet. Denn wie die Ausdrucksweise jeder Nation, d.h. ihre Sprache, eine besondere ist, so pflegt es auch ihre Anschauung- und Auffassungsweise auf dem sittlichen Gebiet, der Nationalcharakter, zu sein. Am leichtesten wird natürlich einer Nation die Erhaltung ihrer Selbständigkeit dann werden, wenn sie allein ohne andersweitige nationale Elemente einen Staat bildet, und dieser Staat wird sich durch besondere Stetigkeit und Festigkeit auszeichnen, weil er eine natürliche Grundlage hat. Jedenfalls ist es für einen Staat von großer Bedeutung, wenn eine Hauptnationalität die Grundlage desselben bildet.
Sind aber in einem Staatswesen verschiedene Nationalitäten vereinigt, so können für die politische Behandlungsweise derselben folgende Systeme zur Anwendung kommen:
- das System der Unterdrückung, das z. B. von Russland der polnischen Nation vor dem Ersten Weltkrieg gegenüber befolgt wurde
- das System der Verschmelzung, das altrömische, amerikanische und das französische System
- das System der Gleichberechtigung der verschiedenen Nationalitäten, um 1900 auch das deutsche System genannt, das aber auch in der Schweiz mit großem Erfolg angewendet worden ist.
Verwerflich war dagegen die Art und Weise, wie dieses System früher zum Zweck der Erhaltung der österreichischen Monarchie von österreichischen Staatsmännern, besonders von Metternich, lange Zeit hindurch zur Anwendung gebracht worden ist, indem hier die einzelnen Nationalitäten gegeneinander ausgespielt und die eine durch die andere in Schach gehalten wurden. Manchmal kann man feststellen, dass dieses Prinzip auch heute noch, von einigen Politikern insbesondere in der EU seine Anwendung findet.
Das politische Leben der Neuzeit hat die Bildung nationaler Staaten besonders begünstigt. Dies zeigt sich nicht nur in dem erfolgreichen Streben der in verschiedene Staaten zersplitterten Nationen nach Einheit, wie dies namentlich in Italien und Deutschland der Fall war, sondern auch in den Bestrebungen verschiedener zu einem gemeinsamen Staatskörper vereinigter Nationalitäten nach politischer Selbständigkeit, wie in Österreich-Ungarn, in Schweden und Norwegen. Man hat es sogar geradezu als einen politischen Grundsatz hingestellt, dass jede Nation es als ihr Recht beanspruchen könne, einen besonderen Staat zu bilden (Nationalitätsprinzip), ein Grundsatz, den Napoleon III. zur Grundlage seiner Politik erhoben hatte. Indessen hat nicht jede Nation die Kraft, einen lebensfähigen Staat zu bilden, und umgekehrt sind manche Nationen kräftig und vielseitig genug, um die Grundlage für verschiedene Staaten abgeben zu können.
Dass übrigens Napoleon III. das Nationalitätsprinzip zumeist nur als Mittel zur Erreichung selbstsüchtiger Zwecke benutzt hat, geht am besten aus der Einverleibung von Nizza und des größten Teiles von Savoyen hervor, die zu diesem Grundsatz im schärfsten Gegensatz stand. Immerhin muss aber die Theorie, wonach der Staat auf wesentlich nationaler Grundlage beruhen soll, freilich mit der gehörigen Einschränkung aus der geschichtlichen Entwickelung, dem einseitigen Festhalten an dem sogenannten Legitimitätsprinzip und der Gleichgewichtstheorie des Wiener Kongresses gegenüber als ein wichtiger Fortschritt in der Entwickelung des politischen Völkerlebens bezeichnet werden.
Deutsches Volk
Das Deutsches Volk ist lt. Definition „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ von 1906:
- in politischer Beziehung die Bevölkerung Deutschlands, die auch nichtdeutsche Bestandteile umfasst,
- in ethnographischer Hinsicht die Gesamtheit der Bewohner Europas und der anderen Erdteile, deren Muttersprache die deutsche Sprache ist.
Bedeutend lebhafter und inniger als noch vor ein bis zwei Jahrzehnten beschäftigt man sich heutzutage mit der gründlichen Beantwortung der wichtigen Frage, was denn eigentlich das Wesen und die Seele des deutschen Volkes in seiner Eigenart, das alltägliche Leben, das gewöhnliche Fühlen und Denken der breiten Masse, besonders der mittleren und unteren Schichten, ausmache.
Daß die politischen und ethnographischen Grenzen sich nicht decken, erklärt sich aus der Vergangenheit des deutschen Volkes. Nordostdeutschland ist die Wiegenstätte des deutschen Volkes. Als Pytheas aus Massilia um 320 v. Chr. zu allererst die Nordseeküsten des heutigen Deutschland erschloss, wohnten deutsche Völkerschaften nur im jetzigen Schleswig-Holstein bis aus Nordseegestade heran; sonst breiteten sie sich längs der Ostseeküste bis etwa ins unterste Weichselland aus und über das Binnenland des Odergebiets durch das heutige Schlesien, Sachsen, die Mark und Mecklenburg bis an die Elbe, wohl auch bereits über Thüringen. Das übrige Mitteleuropa gehörte den Kelten, nur die Tiroler und Schweizer Alpen den mit den Etruskern verwandten Rätern.
Näher als die Kelten standen den Deutschen deren Nachbarn im Osten und Norden, mit denen zusammen sie den Völkerkreis der Germanen bildeten, die Ostgermanen, hauptsächlich die Goten (damals im heute polnischen Weichselgebiet wohnhaft) und die Nordgermanen, die Stammväter der Dänen, Schweden und Norweger. Durch körperliches Aussehen, Sprache und Charakter den noch fortlebenden Nordgermanen sowie den nachmals in der Völkerwanderung oder später vernichteten, bezüglich in anderen Völkern aufgegangenen Ostgermanen (z. B. auch den Vandalen, Gepiden, Burgundern) nächst verwandt, verdienen folglich die Deutschen gemäß jenen ihren ältesten Wohnsitzen den Namen der Westgermanen.
Schon in den nächsten Jahrhunderten nach Pytheas räumten die Kelten das Land zwischen Elbe und Rhein, in das nun die Deutschen einzogen. Der Rhein wurde allmählich ein deutscher Strom. Die Menapier waren das letzte Keltenvolk, das (in den heutigen Niederlanden) aufs rechte Rheinufer hinüberreichte; sie räumten es kurz vor Cäsars Erscheinen in Gallien den Deutschen. Diese waren seit dem Cimbernzug stürmischer vorgedrungen, hatten den keltischen Bojern Böhmen entrissen und waren, den aus dem Maingebiet südwärts gegen die Schweiz hinziehenden keltischen Helvetiern folgend, am süddeutschen Rhein erschienen.
Sweben (Sueven) nannten sich die germanischen Heerscharen, die unter Ariovist 72 v. Chr. den Rhein überschritten und in Gallien eindrangen. Cäsars Sieg über Ariovist lenkte die Völkergeschicke um. Ohne ihn wäre vielleicht Frankreich deutsch, Mitteleuropa slawisch geworden. Zwar blieben auch nach Ariovists Niederlage drei deutsche Volksstämme auf dem linken Ufer des süddeutschen Rheins, etwa von Straßburg ab nordwärts, in der oberrheinischen Niederung nebst dem anstoßenden Gebirge sitzen: die Triboker, Nemeten und Vangionen. Sie wurden aber Rom wie sämtlichen Keltenstämmen Galliens untertan, und der germanischen Eroberungslust wurde auf Jahrhunderte längs der Rheinlinie durch die Römer Halt geboten.
Der Limes, der vom norddeutschen Rhein bis an die Donau oberhalb Regensburg verlief, schirmte sogar das Gelände auf der rechten Stromseite vor germanischem Ansturm, und seit unter Augustus die mitteleuropäischen Alpen samt deren nördlichem Vorland von Rom bewältigt und die Provinzen Vindelicien und Noricum organisiert waren, hielten die Römer einige Jahrhunderte auch an der Donaulinie das Übergreifen der Germanen zurück. Die Völkerwanderung erst zerbrach die künstlichen Schutzgrenzen von Schanzen und Römerkastellen und machte fast ganz Mitteleuropa deutsch. Freilich entleerte sich bei diesem Jahrhunderte währenden Abströmen deutschen Volkes nach Südwesten der Osten, besonders der Nordosten.
Dafür rückten Slawenstämme westwärts ein: in Norddeutschland bis nach Ostholstein, bis an und über die Elbe und die thüringische Saale. Böhmen und Mähren ging an die Tschechen verloren, zwischen Fichtelgebirge und Böhmerwald zogen die Radanzwinden bis nach Mittelfranken hinein.
Aber schon im Zeitalter Karls d. Gr. setzte die deutsche Rückeroberung nach diesen slawisch gewordenen Ostlanden ein: teils wurden den Slawen oder „Winden“ (Wenden) auf kriegerischem Wege mit der deutschen Herrschaft deutsche Sprache und Gesittung sowie Aufnahme deutscher Neusiedler aufgezwungen, teils riefen slawische Fürsten freiwillig, wie in Schlesien, Böhmen und Mähren, deutsche Ansiedler in ihre Lande, um Wälder zu roden, Bergwerke zu eröffnen, Städte zu gründen. Der Deutschritter-Orden führte seit dem 13. Jahrhundert Angehörige aller deutschen Stämme in das von ihm gleichzeitig dem Christentum und dem Deutschtum gewonnene Küstenland jenseits der Weichsel, wo neben polnischer litauisch-lettische Zunge erklang. Letztendlich verursachte die Anteilnahme Preußens an den polnischen Teilungen den letzten bedeutungsvollen Abstrom deutschen Volkes ins östlichste Oder- und ins Weichselland bis zur russischen Grenze.
„Deutsches Volk“ und „Deutscher“ heute
Zu beachten ist, dass nach englischem und französischem Sprachgebrauch der Ausdruck Nation gerade umgekehrt das Staatsvolk (die politische Nationalität), daher auch Nationalität soviel wie Staatsangehörigkeit bezeichnet, während für die Nation im deutschen Sinne des Wortes, für das Naturvolk (die natürliche Nationalität), die Worte Peuple (franz.) und People (engl.) gebräuchlich sind. In der Bundesrepublik wird demnach im heutigen offiziellen Sprachgebrauch nicht mehr die deutsche, sondern die englisch/französische Definition verwendet.
Die meisten Politiker und Medien versuchen heute den Begriff „Deutsches Volk“ wenn möglich ganz zu vermeiden und stattdessen mit dem Begriff „Bevölkerung“ zu ersetzten. Dabei definiert der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages „Deutsches Volks“ wie folgt:
Die Begriffe „deutsches Volk“ oder „Volk“ werden unter anderem in der Präambel des Grundgesetzes (GG) und in den Art. 1 Abs. 2, Art. 20 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 und Art. 56 GG verwendet. Die Begriffe bezeichnen das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland. Zu dessen Zusammensetzung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:
„Das Volk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, wird nach dem Grundgesetz von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 [GG] gleichgestellten Personen gebildet.“
Die Zusammensetzung des Staatsvolks richtet sich dementsprechend nach Art. 116 Abs. 1 GG und dem einfach-gesetzlichen Staatsangehörigkeitsrecht. Die Zugehörigkeit zum deutschen Volk vermittelt bestimmte verfassungsmäßig verbürgte Rechte. Dazu gehören die sog. Deutschen Grundrechte und das Wahlrecht zu den repräsentativen Körperschaften auf der Ebene von Bund, Ländern und Kommunen sowie auf der Ebene der Europäischen Union.
Die Begriffe der „Deutschen“ und der „deutschen Volkszugehörigkeit“ nach Art. 116 GG Art. 116 Abs. 1 GG enthält die Legaldefinition dafür, wer nach dem GG Deutscher ist:
„Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“
Deutsche sind somit zum einen alle Personen, die nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Zum anderen sind auch Personen ohne deutsche
Staatsangehörigkeit Deutsche, wenn sie als Flüchtling oder Vertriebener (oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling) deutscher Volkszugehörigkeit in Deutschland Aufnahme gefunden haben. Diese werden als „Statusdeutsche“ bezeichnet. Statusdeutsche haben grundsätzlich alle verfassungsrechtlichen Rechte und Pflichten deutscher Staatsangehöriger. Eine Abweichung besteht darin, dass Statusdeutsche mangels deutscher Staatsangehörigkeit nach herrschender Meinung nicht gemäß Art. 16 Abs. 1 GG vor dem Verlust ihres Status geschützt sind.
Im Hinblick auf das Unionsrecht sind Statusdeutsche den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt. Ob sie auch völkerrechtlich als Deutsche gelten, ist teilweise umstritten. Da die Statusdeutschen in zahlreiche völkerrechtliche Verträge ausdrücklich einbezogen wurden und im völkerrechtlichen Verkehr der Bundesrepublik vielfach als deutsche Staatsangehörige behandelt werden, wird die Gleichstellung weit überwiegend bejaht.
Bildergalerie
Quellenhinweise:
- „Meyers Konversations-Lexikon“ 5. Auflage in 17 Bänden 1893 – 1897
- „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 24 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1906 – 1908
- „Meyers Kleines Konversations-Lexikon“, 7. Auflage in 6 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien 1908
- Quelle: Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag
Ähnliche Beiträge