Die geistige Nahrung, 1906

Reichsangehörigkeit

Reichsangehörigkeit und deutsche Staatsangehörigkeit

Reichsangehörigkeit:

Bis zur Auflösung des früheren Deutschen Reiches (Heiliges römisches Reich deutscher Nation) im Jahre 1806 bestand für die Angehörigen der sämtlichen zugehörigen Gebiete neben dem Landesindigenat ein gemeinsames Reichsindigenat oder Reichsbürgerrecht.

Deutschland 1786
Deutschland 1786

Freilich war die Bedeutung der darin enthaltenen Rechte mit der Zeit mehr und mehr abgeschwächt worden. Der nachmalige Deutsche Bund dagegen war lediglich ein völkerrechtlicher Verein und kannte kein gemeinsames Bundesindigenat.

Deutscher Bund (Deutschland 1815-1866)
Deutscher Bund (Deutschland 1815-1866)

Die deutschen Grundrechte von 1848 und die Reichsverfassung vom 28. März 1849 wollten gegenüber diesem unerträglichen Zustand ein gemeinsames deutsches Reichsbürgerrecht einführen. Die norddeutsche Bundes- und die deutsche Reichsverfassung von 1871 aber stellten für die Angehörigen der sämtlichen Bundesstaaten ein gemeinsames Bundes- oder Reichsindigenat fest.

Deutsches Reich 1871-1918 (Kaiserreich), Landkarte
Deutsches Reich 1871-1918 (Kaiserreich), Landkarte

Heimatschein:

Die Bescheinigung über die Staatsangehörigkeit heißt Staatsangehörigkeitsausweis (Heimatschein). Der Heimatschein ist der Ausweis über die Staatsangehörigkeit.

Heimatschein Deutsches Reich, Königreich Preußen, 1909
Heimatschein Deutsches Reich, Königreich Preußen, 1909

Der Art. 3 der Reichsverfassung bestimmt nämlich:

Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, dass der Angehörige (Untertan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in jedem andern Bundesstaat als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb, zu öffentlichen Ämtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts und zum Genuss aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie die Einheimischen zuzulassen, auch in betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes gleich zu behandeln ist. Durch das Bundes- (spätere Reichs-) Gesetz vom 1. Juni 1870 über die Erwerbung und den Verlust der Reichs- und Staatsangehörigkeit wurde die Reichsangehörigkeit für sämtliche Bundesstaaten einheitlich geregelt, in dem § 1 dieses Gesetzes bestimmte: die Reichsangehörigkeit wird durch die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat erworben und erlischt mit deren Verlust.

Die deutsche Staatsangehörigkeit:

Bundesstaaten des Deutschen Reichs 1871-1918 (Kaiserreich)
Bundesstaaten des Deutschen Reichs 1871-1918 (Kaiserreich)

Die Staatsangehörigkeit (Indigenat) beschreibt das Verhältnis der Untertänigkeit unter eine bestimmte Staatsgewalt. In Staatenverbindungen, bei denen direkte Beziehungen der Einzelnen auch zur Gesamtheit (Bund, Reich) bestehen, wird von Staats- und Bundes- (Reichs-) Angehörigkeit gesprochen. So besteht in der Schweiz ein Kantons- und ein Schweizerbürgerrecht, im Deutschen Reich eine Staatsangehörigkeit und eine Reichsangehörigkeit.

Die Reichsangehörigkeit setzt die Staatsangehörigkeit in einem deutschen Bundesstaat voraus, sie wird mit der Staatsangehörigkeit erworben und endigt mit derselben. Nach dem Bundes- (Reichs-) Gesetz vom 1. Juni 1870 (neue Fassung vom 1. Januar 1900) über den Erwerb und Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit erfolgt die Erwerbung der Staatsangehörigkeit durch eheliche Abstammung von einem inländischen Vater und durch uneheliche Abstammung von einer inländischen Mutter, sowie durch Annahme an Kindes Statt (Legitimation) seitens eines Staatsangehörigen.

Die Ehefrau erwirbt die Staatsangehörigkeit durch Verheiratung mit einem Staatsangehörigen. Der Angehörige eines Bundesstaats wird durch Aufnahme in einen anderen (Überwanderung), der Ausländer oder Nichtdeutsche durch Naturalisation (Einwanderung) Staatsangehöriger. Aufnahme und Naturalisation erfolgt durch die höhere Verwaltungsbehörde des betreffenden Staates, und zwar die Aufnahme kostenfrei.

Ernst und Helene Jacobs, 1900
Ernst Jacobs mit Frau Helene, geb Josiger im Jahr ihrer Hochzeit 1900

Der Bürgerschein meines Urgroßvaters Ernst Jacobs von 1897, der Trauschein meiner Urgroßeltern Ernst Jacobs und Helene Jacobs, geb. Josiger von 1901 und der Taufschein meines Großvaters Rudolf Jacobs von 1902:

Bürgerschein Ernst Jacobs, 1897
Bürgerschein Ernst Jacobs, 1897
Trauschein Ernst Jacobs und Helene geb. Josiger, 1901
Trauschein Ernst Jacobs und Helene geb. Josiger, 1901
Taufschein Rudolf Jacobs, 1902
Taufschein Rudolf Jacobs, 1902

Der Hauptunterschied zwischen Aufnahme und Naturalisation besteht darin, dass die Aufnahme jedem Angehörigen eines anderen Bundesstaats erteilt werden muss, wenn er darum nachsucht und zugleich nachweist, dass er in dem Bundesstaat, in dem er um die Aufnahme nachsucht, sich niedergelassen habe; es müsste denn einer der Fälle vorliegen, in denen nach dem Freizügigkeitsgesetz die Abweisung eines Neuanziehenden oder die Versagung der Fortsetzung des Aufenthalts gerechtfertigt ist. Dagegen besteht keine Verpflichtung zur Naturalisation eines Ausländers, deren allgemeine Voraussetzungen Dispositionsfähigkeit, respektive Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, Unbescholtenheit, Wohnung am Orte der Niederlassung und die Fähigkeit, sich und seine Angehörigen ernähren zu können, sind. Bei Staats-, Kirchen- und Gemeindedienern vertritt die Bestallung die Aufnahme- oder die Naturalisationsurkunde.

Nach dem Schutzgebietsgesetz vom 10. September 1900 kann Ausländern, die sich im Schutzgebiete niederlassen, sowie Eingebornen durch Naturalisation die Reichsangehörigkeit verliehen werden. Zuständig sind der Reichskanzler und die von ihm bevollmächtigten kaiserlichen Beamten. Die deutschen Schutzgebiete sind weder für sich Staaten noch Bestandteile des Reichsgebiets (Art. 1 Reichsverfassung). Sie unterstehen zwar der Souveränität des Deutschen Reichs, sind ihm aber nicht staatsrechtlich einverleibt. Laband bezeichnet sie deshalb als Pertinenzen, Zubehör des Reichs. Weil sie keine Staaten sind, gibt es in ihnen keine Staatsangehörigkeit; weil sie nicht Reichsland sind, ist mit der Schutzgebietsangehörigkeit nicht ohne weiteres die Reichsangehörigkeit verbunden.

Der Verlust der Staatsangehörigkeit erfolgt durch zehnjährigen, ausnahmsweise (laut Bancroftverträgen) auch fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalt im Ausland, zu dem die Schutzgebiete aber nicht gehören, es sei denn, dass sich der Betreffende im Besitz eines Reisepapiers oder Heimatscheins befindet oder in die Matrikel eines deutschen Konsuls eingetragen ist; durch Verheiratung einer Inländerin mit dem Angehörigen eines anderen Staates sowie bei dem unehelichen Kind einer Inländerin durch die Legitimation seitens des staatsfremden Vaters.

Außerdem geht die Staatsangehörigkeit verloren durch die Entlassung, die erteilt werden muss, wenn der zu Entlassende in einem anderen deutschen Staate die Staatsangehörigkeit erworben hat. Die Entlassung ist Wehrpflichtigen vom vollendeten 17. bis zum 25. Lebensjahr zu versagen, wenn sie nicht ein Zeugnis der Ersatzbehörde darüber erbracht haben, dass sie die Entlassung nicht bloß nachsuchen, um sich der Dienstpflicht zu entziehen, desgleichen Militärpersonen in aktivem Dienst, Offizieren und Beamten des Beurlaubtenstandes, bevor sie aus dem Dienst entlassen sind, und den zum aktiven Dienst einberufenen Reservisten und Wehrleuten, Angehörigen der Ersatzreserve und des Landsturms, wenn sie zum Dienst einberufen sind.

Auch kann ein Deutscher der Staatsangehörigkeit und damit auch der Reichsangehörigkeit für verlustig erklärt werden, wenn er ohne Erlaubnis seiner Regierung in ausländische Staatsdienste tritt, oder wenn er einem Avocatorium (Abberufungsschreiben) keine Folge leistet. Dagegen geht die Staatsangehörigkeit durch Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit nicht verloren. Deutschen, die ihre Staatsangehörigkeit durch zehnjährigen Aufenthalt im Ausland verloren haben, kann die Staatsangehörigkeit in dem früheren Heimatstaat durch Renaturalisation wieder verliehen werden, auch wenn sie sich in diesem Heimatstaat nicht wiederum niederlassen, sofern sie keine anderweite Staatsangehörigkeit erworben haben. Sie muss ihnen wieder verliehen werden, wenn sie sich dort wieder niederlassen, selbst wenn sie inzwischen eine anderweite Staatsangehörigkeit erworben haben sollten.

Die hier dargelegten Angaben
zur Reichsangehörigkeit und deutschen Staatsangehörigkeit beziehen sich auf das Deutsche Reich 1871 – 1918 (Kaiserreich).

Staatsangehörigkeitsausweis – Gelber Schein

Mit dem Staatsangehörigkeitsausweis der Bundesrepublik Deutschland, umgangssprachlich auch „Gelber Schein“ genannt, ist die deutsche Staatsangehörigkeit verbindlich nachgewiesen. Der allgemein übliche Personalausweis bzw. der deutsche Reisepass sind kein Nachweis über den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Staatsangehörigkeitsausweis ersetzt jedoch nicht den Personalausweis bzw. Reisepass und kann somit nicht für Reisen ins Ausland etc. verwendet werden. Da sogenannte „Reichsbürger“ mit Hilfe dieses Ausweises die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland bestreiten, sind die Behörden inzwischen dazu übergegangen den Staatsangehörigkeitsnachweis nur noch auszustellen, wenn die Staatsangehörigkeit tatsächlich unklar ist oder behördlicherseits bezweifelt wird.

Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht in der Bundesrepublik Deutschland basiert auf dem sogenannten „Abstammungsprinzip“. Dies bedeutet, dass die deutsche Staatsangehörigkeit nicht aufgrund der Geburt in Deutschland erworben wird, sondern aufgrund der Abstammung von einem deutschen Elternteil.

Die österreichische Staatsbürgerschaft:

Kaisertum Österreich
Kaisertum Österreich

Die österreichische Staatsbürgerschaft wird erworben:

  • durch die Geburt,
  • wenn der eheliche Vater oder die uneheliche Mutter die österreichische Staatsbürgerschaft hat,
  • durch Verehelichung mit einem österreichischen Staatsbürger;
  • durch Verleihung seitens einer Statthalterei, wenn der Ansuchende ununterbrochenen Wohnsitz in Österreich zehn Jahre lang hatte, sonst seitens des Ministeriums des Innern, stets bedingt durch gutes sittliches Betragen und Erwerbsfähigkeit; von Angehörigen des Deutschen Reiches wird überdies vorherige Entlassung gefordert.
Österreichisch-Ungarische Monarchie, Landkarte
Österreichisch-Ungarische Monarchie, Landkarte

Der Verleihung muss stets Zusicherung der Aufnahme in den Verband einer inländischen Gemeinde vorausgehen. Eintritt eines Ausländers in ein öffentliches Amt ist von der Erwerbung des österreichischen Staatsbürgerrechtes abhängig.

Heimatschein Österreich, Niederösterreich, 1895
Heimatschein Österreich, Niederösterreich, 1895

Verloren wird die österreichische Staatsbürgerschaft:

  • durch Verehelichung mit einem Ausländer und durch Auswanderung; hierzu bedürfen nur Wehrpflichtige einer von dem Reichskriegsministerium, bez. vom Landesverteidigungsministerium zu erteilenden Entlassung; bezüglich anderer ist in den Entlassungsurkunden nur zu erklären, dass der Auswanderung kein Hindernis im Wege stehe.

Besondere Bestimmungen bestehen noch bezüglich der Auswanderung männlicher, noch nicht wehrpflichtiger Minderjähriger.

Die hier dargelegten Angaben
zur österreichische Staatsbürgerschaft beziehen sich auf das Kaisertum Österreich (1866 – 1918).

Bildergalerie

Quellenhinweise:

  • „Meyers Konversations-Lexikon“ 5. Auflage in 17 Bänden 1893 – 1897
  • „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 24 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1906 – 1908
  • „Meyers Kleines Konversations-Lexikon“, 7. Auflage in 6 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien 1908
  • „Kleine Deutsche Staatskunde“, E. Stutzer – Dresden und Berlin, 1910
Reichsadler 1889-1918

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Ein Kommentar

  1. Ich besitze ein Lübecker Poesiealbum aus den 1880er-Jahren, in dem auch eine Seite enthalten ist, die am 27. Januar 1881 von „Helene Jacobs“ verfasst wurde. Um die oben beschriebene Dame gleichen Namens wird es sich kaum handeln können, zumal Ihre Verwandte ja zu dieser Zeit noch gar nicht Jacobs hieß, sondern diesen Namen erst bei ihrer Hochzeit annahm. Besteht womöglich dennoch eine familiäre Verbindung bzw. Interesse an einem Scan? (Das Poesiealbum gehörte damals Käthe Möller, offenbar einer Freundin Frau Jacobs’.)

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