Neutral Moresnet (1816-1919) mit dem Vierländereck

Am Vierländerpunkt bei Aachen treffen sich Deutschland, die Niederlande, Belgien und Neutral Moresnet. In Moresnet (spr. -reneh) mit der Gemeinde Neutral-Moresnet oder Kelmis leben im Jahr 1905 etwa 3400 Einwohner.

Das neutrale Gebiet ist ein ca. 330 Hektar bzw. 3,3 km² großes Dreieck und steht seit 1816 unter preußischer und belgischer Hoheit (seit 1830) mit eigener Verwaltung.

Westlich der alten Reichsstadt Aachen wurde seit dem Mittelalter Galmei abgebaut. Galmei ist der bergmännische Trivialname für ein Gemenge von Kieselzinkerz und Zinkspat.

Nach der Niederlage Napoleons I. kam es auf dem Wiener Kongress 1814/15 zu einer Neuordnung Europas, aber ausgerechnet mit dem Grenzverlauf um die damaligen Grube Altenberg nahe Kelmis konnten die Vertreter Preußens und der Vereinigten Niederlande auch nach 50 Sitzungen keine Einigung erzielen; so erklärte man das strittige Gebiet kurzerhand für vorläufig neutral.

Das war die Geburtsstunde für „Neutral Moresnet“ ein Provisorium, das dann doch 103 Jahre existieren sollte. Als Belgien 1830 ein selbstständiges Königreich wurde entstand das sogenannte „Vierländereck“ mit dem „Vierländerpunkt“, obwohl Neutral Moresnet natürlich kein selbstständiges Land bzw. Staat war.
Neutral Moresnet ist ein kleines Gebiet auf der belgisch-deutschen Grenze, 7 km südwestlich von Aachen, wird im Westen von der belgischen Bahnlinie Lüttich-Bleiberg, im Osten von der preußischen Linie Herbesthal-Aachen durchschnitten. Der einzige Ort ist das Dorf Neutral-Moresnet (auch Kelmis oder Kalmis genannt) mit dem großen Galmeibergwerk Altenberg und 3400 Einwohnern.

Dicht daneben, auf preußischem Gebiet, liegt der Ort Preußisch-Moresnet mit ca. 650 Einwohnern und 3 km südlich im belgischen Arrondissement Verviers Belgisch-Moresnet mit (1904) 1193 Einwohnern. Das 1816 gebildete Gebiet wurde bis 1841 von Preußen und Belgien (seit 1830) gemeinsam verwaltet, ihm dann aber eine eigene Verwaltung aus einem Bürgermeister und einem Rat von zehn Mitgliedern zugestanden.

Für die Rechtspflege sind die preußischen und belgischen Gerichtshöfe nach Wahl zuständig; gültig ist der Code Napoléon, das französische Gesetzbuch zum Zivilrecht. Belgien hat seit 1854 seine Gerichtseingesessenen, Preußen die seinigen seit 1874 zum Militärdienst herangezogen.

Mit bunten und fantasievollen Postkarten versuchte man das Gebiet auch touristisch zu erschließen, am „Vierländerblick“ konnte man die 4 Grenzsteine bestaunen und Ausflugslokale wie die Karlshöhe und Hochgrundhaus besuchen. Das staatenlose Gebiet zog natürlich auch allerlei Idealisten und Freigeister an, so wollte der im Jahre 1863 aus Deutschland zugezogene Arzt Dr. Wilhelm Molly in Neutral Moresnet als „Ort der Freundschaft“ Esperanto als Amtssprache einführen.

Auch beteiligte er sich an der Ausgabe von 8 Privatdrucken der „Kelmiser Verkehrsanstalt neutrales Gebiet von Moresnet“ in Pfennigwährung – „Moresnet-Briefmarken“, die aber als reine Fantasieprodukte postalisch bedeutungslos waren, ja sogar als illegal verboten wurden, da Moresnet sowohl von der belgischen Post wie auch der Reichspost bedient wurde.








Ähnlich wie bei den Malakote-Marken versuchen Händler diese Privatdrucke bis heute für viel Geld an den Mann zu bringen. Sogenannte „echt gelaufene Briefe“ sind also reine Machwerke.
1905 begannen Verhandlungen zwischen Belgien und Preußen, die auf eine Neugestaltung der politischen Verhältnisse in Neutral-Moresnet abzielten. Nach dem Ersten Weltkrieg 1914 – 1918 bestimmte der Versailler Vertrag 1919, dass das Gebiet komplett, wie auch das deutschsprachige Eupen und Malmedy, an Belgien fällt.
Versailler Vertrag
Artikel 31.
In Anerkennung der Tatsache, dass die Verträge vom 19. April 1839, die vor dem Kriege die Rechtslage Belgiens bestimmten, durch die Verhältnisse überholt sind, stimmt Deutschland der Aufhebung dieser Verträge zu und verpflichtet sich schon jetzt zu Anerkennung und Beobachtung aller wie auch immer gearteten Übereinkommen, die die alliierten und assoziierten Hauptmächte oder einzelne von ihnen mit der belgischen oder der niederländischen Regierung zum Ersatz der genannten Verträge von 1839 etwa abschließen. Sollte sein förmlicher Beitritt zu diesem Übereinkommen oder zu einzelnen ihrer Bestimmungen gefordert werden, so verpflichtet sich Deutschland schon jetzt, diesen Beitritt zu erklären.
Artikel 32.
Deutschland erkennt die volle Souveränität Belgiens über das ganze streitige Gebiet von Moresnet (das so genannte „Neutral-Moresnet“) an.
Artikel 33.
Deutschland verzichtet zugunsten Belgiens auf alle Rechte und Ansprüche auf das westlich der Straße Lüttich-Aachen liegende Gebiet von Preußisch-Moresnet. Die am Rande dieses Gebietes verlaufende Strecke der Straße fällt an Belgien.
Artikel 34.
Deutschland verzichtet außerdem zugunsten Belgiens auf alle Rechte und Ansprüche auf das gesamte Gebiet der Kreise Eupen und Malmedy. Während sechs Monaten nach Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrags werden von der belgischen Behörde in Eupen und Malmedy Listen ausgelegt; die Einwohner dieser Gebiete sind berechtigt, darin schriftlich den Wunsch auszudrücken, dass diese Gebiete ganz oder teilweise unter deutscher Souveränität verbleiben. Es ist Sache der belgischen Regierung, das Ergebnis dieser Äußerung der Bevölkerung zur Kenntnis des Völkerbundes zu bringen, dessen Entscheidung anzunehmen sich Belgien verpflichtet.
Neben dem Vierländereck existierte im Deutsche Reich (Kaiserreich) als Besonderheit an der Staatsgrenze die Dreikaiserreichsecke bei Myslowitz in Schlesien zwischen dem Deutschen Reich, Russland und Österreich bis 1919.

Bildergalerie









Quellenhinweise:
- „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 24 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1906 – 1908
- „Meyers Kleines Konversations-Lexikon“, 7. Auflage in 6 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien 1908
- „Kleine Deutsche Staatskunde“, E. Stutzer – Dresden und Berlin, 1910
- „Meyers Lexikon“ in 12 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig 1924
- „Meyers Lexikon“ Siebente Auflage Bibliographisches Institut Leipzig 1926
- „Geschichte des Deutschen Reiches 1871 – 1924“ von Johannes Hohlfeld, Verlag von G. Hirzel in Leipzig 1924

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