Aufgaben und Struktur der deutschen Reichspost
Deutsche Reichspost
Die deutsche Reichspost wird von einer dem Reichskanzler unterstellten Zentralbehörde geleitet, die seit 1880 die Bezeichnung Reichspostamt führt. An deren Spitze steht der Staatssekretär des Reichspostamts, er besitzt die Befugnisse einer obersten Reichsbehörde. Das Reichspostamt (amtlich abgekürzt R P A) besteht aus vier Abteilungen (mit einem Unterstaatssekretär und drei Direktoren an der Spitze), von denen die erste die posttechnischen, die zweite, seit der 1875 erfolgten Vereinigung der Telegraphie mit der Post, die telegraphentechnischen, die dritte und vierte die gemeinsamen Angelegenheiten bearbeiten.
Reichspostgebiet
Das Reichspostgebiet ist in 41 Oberpostdirektionsbezirke eingeteilt. An der Spitze jeder Oberpostdirektion (abgekürzt O P D) steht ein Oberpostdirektor, der nach den Gesetzen und den Anweisungen des Reichspostamts das Post- und Telegraphenwesen in seinem Bezirk zu verwalten hat. Hierin wird er unterstützt und vertreten durch Posträte, die einen Teil der Verwaltungsgeschäfte selbständig erledigen; den technischen Teil des Postbauwesens bearbeitet ein Postbaurat meist für mehrere Oberpostdirektionsbezirke, in Berlin sind zwei Postbauräte; bei juristischen Fragen wird ein Rechtsbeistand zugezogen, in Berlin ist hierfür ein juristisch vorgebildeter Postrat bestimmt. Als ständige Beauftragte des Oberpostdirektors beaufsichtigen mehrere Oberpostinspektoren fortgesetzt persönlich den Post- und Telegraphenbetriebsdienst bei den der Oberpostdirektion unterstellten Verkehrsanstalten (s. Postanstalten, Telegraphenanstalten, Fahrende Postämter). Zu jeder Oberpostdirektion gehört eine Oberpostkasse. Dem Reichspostamt sind zudem unmittelbar untergeordnet:
- die Generalpostkasse (zugleich Oberpostkasse für den Bezirk Berlin),
- das Postanweisungsamt,
- das Postzeitungsamt,
- die Telegraphenapparatwerkstatt,
- das Telegraphenversuchsamt, sämtlich in Berlin, sowie
- die Post- und Telegraphenanstalten in den deutschen Schutzgebieten, in der Türkei, in Marokko und die Postdirektion für China in Schanghai.
Postdienst
Der praktische Postdienst umfasst im wesentlichen: das Annehmen der Sendungen vom Publikum, das Wiegen, Stempeln, Leiten, Sortieren, Abfertigen, Verladen, Umladen, Entkarten, Ausgeben etc. der Sendungen einschließlich der zugehörigen Kassen-, Rechnungs- und Prüfungsgeschäfte. Während diese Tätigkeiten bei kleinern Postanstalten oft von einem Beamten und einem Unterbeamten wahrgenommen werden, muss bei großen Postämtern wegen der Riesensummen gleichartiger Geschäfte eine bis ins einzelne gehende Arbeitsteilung stattfinden; diese Verschiedenheit tritt auch äußerlich in der Größe und Ausstattung der Posthäuser, den reichseignen Gebäuden und den eigens für Postzwecke unter Leitung der Postverwaltung von Privaten errichteten Mietpostgebäuden hervor. Auf Bahnhöfen mietet die Post besondere Räume von der Eisenbahnverwaltung, auf Bahnhöfen mit starkem Paketverkehr, z. B. in Berlin, Leipzig, Hamburg, bestehen besondere Postverladebahnhöfe mit ausgedehnten Gleisanlagen. Die Anmietung von Postdiensträumen in Privathäusern erfolgt entweder unmittelbar durch die Post oder für kleinere Postämter auf Rechnung des durch eine Bauschsumme entschädigten Postverwalters. Die Postagenten und Hilfsstelleninhaber nehmen den Betrieb in ihren eignen, sonst noch für Privatzwecke benutzten Räumen wahr.
Beförderungsmittel der Reichspost
a) auf Eisenbahnen, einschließlich Nebenbahnen: die reichseignen Bahnpostwagen, deren je einer in jedem fahrplanmäßigen Zuge von der Eisenbahn unentgeltlich (Postgesetz) befördert werden muss, ferner gemietete, postmäßig eingerichtete Abteile in Eisenbahnwagen und bei gesteigertem Paketverkehr Eisenbahngüterwagen (Briefpost wird auch durch Eisenbahnpersonal unentgeltlich mitgenommen);
b) auf Kleinbahnen: selten besondere Wagenabteile, meist ist nur ein Stehplatz für einen den Postsack begleitenden Postunterbeamten vorbehalten;
c) aus Landwegen: Personenpostwagen (franz. diligences; die Schnellpostwagen für Personen und Briefpost ohne Pakete, franz. diligences accélerées, engl. flying coaches, gehören dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts an), ferner Güter-, Karriol- und mit einem Pferd bespannte Landbriefträgerwagen sowie für die Beförderung der Postsachen eingerichtete Privatpersonenfuhrwerke, reichseigne und private Schlitten, selbst das uralte Postfelleisen hat sich in Gestalt der Botenposttasche und des Rucksackes des Postfußboten erhalten;
d) auf Wasserwegen: private Dampf- und Segelschiffe sowie Ruderboote;
e) im Orts- und Bahnhofsverkehr: Pakethand- und Paketbestellwagen, Perronkarren. Die Überbringung der Postsachen an die Empfänger erfolgt durch Briefträger, Paketbesteller, Landbriefträger und Eilboten, von denen namentlich die letztern, ebenso die Kastenleerer zum Einsammeln der Briefe aus den Briefkasten häufig Fahrräder benutzen.
Postvermögen
Das in den Einrichtungen der deutschen Reichspost angelegte Kapital (Postvermögen) wird auf 662,5 Milliarden Mark geschätzt. Das Betriebskapital beträgt 5,25 Milliarden Mark aus der französischen Kriegsentschädigung, daneben ein Kredit bei der Reichshauptkasse bis 12,75 Millionen Mark, die sonst noch der Post und auch der Reichshauptkasse fehlenden Betriebsmittel, namentlich zur Ausführung der sozialen Gesetzgebung (Nebenbetriebe der Post), werden durch vorzeitige Einforderung der Matrikularbeiträge der Einzelstaaten und durch Verzögerung der Überweisungen an die Einzelstaaten zu beschaffen gesucht, da die Regelung der Finanzwirtschaft des Deutschen Reiches noch aussteht.
Beamtenunterstützung und -versorgung
Für die Angehörigen des zahlreichen Beamtenpersonals (Ende 1904: 229.079 Mitarbeiter) wurden Wohlfahrtsanstalten geschaffen, namentlich die Postunterstützungskasse, eine Poststerbekasse, Vermittelung von Lebensversicherungen auf Grundlage von Verträgen mit bewährten Lebensversicherungsgesellschaften unter Gewährung von Zuschüssen aus der Postkasse, Kleiderkassen für die Unterbeamten, gleichfalls mit finanziellen Beihilfen seitens der Verwaltung Postspar- und Darlehnsvereine auf Grundlage gegenseitiger Selbsthilfe der Beamten (Ende 1904: 164.503 Mitglieder mit einem Sparguthaben von 47.160.682 Mark.), sowie eine von Überschüssen aus der Verwaltung der Post in den französischen okkupierten Gebietsteilen während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 gebildete und inzwischen durch Schenkungen bedeutend angewachsene Kaiser Wilhelm-Stiftung für die Angehörigen der Reichspost- und Telegraphenverwaltung (Vermögen Ende 1904: 750.712 Mark) mit dem Zweck der Förderung des geistigen und materiellen Wohls der Beamten. Über Postkrankenkassen s. d. Für Wohnungsfürsorge, d. h. zur Bereitstellung von Wohnungen für Beamte an Orten, wo Wohnungen schwer erhältlich, sind bis 1905: 5,5 Millionen Mark für ca. 500 reichseigne Häuser und 1905: 101.000 Mark Miete für etwa 230 Mietshäuser aufgewendet.
Eigenständige Postgebiete in Bayern und Württemberg
Die bayrischen Posten (und Telegraphen nebst dem Telephonwesen) sind dem Staatsministerium für Verkehrsangelegenheiten unterstellt; unter ihm steht die Generaldirektion der Posten und Telegraphen, der die sieben Oberpostämter untergeordnet sind. In Württemberg wird die Post (und Telegraphie) durch die dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten (Abteilung für die Verkehrsanstalten) untergestellte Generaldirektion der Posten und Telegraphen geleitet, von der die Postanstalten unmittelbar ressortieren.
Bildergalerie
Quellenhinweise:
- „Meyers Konversations-Lexikon“ 5. Auflage in 17 Bänden 1893 – 1897
- „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 24 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1906 – 1908
- „Meyers Kleines Konversations-Lexikon“, 7. Auflage in 6 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien 1908
- „Kleine Deutsche Staatskunde“, E. Stutzer – Dresden und Berlin, 1910
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