Schutzgebietegesetz, das Grundgesetz für die Gesetzgebung, die Verwaltung und die Rechtspflege in den Kolonien
Schutzgebietsgesetz
Die erste gesetzliche Grundlage für das Recht der deutschen Kolonien bildete das Gesetz, betr. die Rechtsverältnisse der deutschen Schutzgebiete, vom 17. April 1886 (RGBl. S. 75). Nachdem zwei Novellen vom 7. Juli 1887 (RGBl. S. 307) und vom 15. März 1888 (RGBl. S. 71) hinzugekommen waren, wurde es mit den ergänzenden Bestimmungen dieser Novellen am 19. März 1888 in der sich daraus ergebenden anderweitigen Fassung neu bekannt gemacht (RGBl. S. 75). Weitere Novellen folgten am 2. Juli 1899 (RGBl. S. 365) und am 25. Juli 1900 (RGBl. S. 809), die letztere als Folge der durch die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und seiner Nebengesetze bedingten Neugestaltung des Rechts.
Die neuen Bestimmungen wurden wiederum dem Gesetz eingefügt und dieses in der jetzigen Fassung unter der Überschrift „Schutzgebietsgesetz“ mit dem Datum des 10. September 1900 (RGBl. S. 812) publiziert. Am 1. Januar 1901 ist es mit seinem neuen Inhalt in Kraft getreten (Art. 3 Gesetz vom 25. Juli 1900 [RGBl. S. 809]; § 1 Ksl. V., betr. die Rechtsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten, vom 9. November 1900 [RGBl. S. 1005]). Seitdem hat es durch die Novellen vom 16. Juli 1912 (RGBl. S. 443) und vom 22. Juli 1913 (RG. S. 599) sowie durch das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1912 (RGBl. S. 583) einige Abänderung erfahren.
Das Schutzgebietsgesetz ist ein Reichsgesetz mit Geltung in sämtlichen deutschen Schutzgebieten. Es ist das Grundgesetz für die Gesetzgebung, die Verwaltung und die Rechtspflege in den Kolonien. Nach ihm haben das Deutsche Reich, der Kaiser und der Reichskanzler die gesetzgebende Gewalt in den Kolonien. § 1 bestimmt: „Die Schutzgewalt in den deutschen Schutzgebieten übt der Kaiser im Namen des Reichs aus.“ Damit ist gesagt, dass das Deutsche Reich der Träger der Schutzgewalt und der deutsche Kaiser das mit der Ausübung der Schutzgewalt betraute Organ ist. „Schutzgewalt“ bedeutet im Sinne des Schutzgebietsgesetzes Staatsgewalt. Als deren Träger hat in erster Reihe das Reich die Gesetzgebungsmacht. In zweiter Reihe steht sie dem Kaiser zu als demjenigen, der die Staatsgewalt ausübt. Daneben ist sie in beschränktem Umfange auch dem Reichskanzler verliehen.
Der § 15 SchGG. verordnet, dass der Reichskanzler die zur Ausführung des Schutzgebietsgesetzes erforderlichen Anordnungen zu erlassen hat, und gibt ihm die Befugnis, für die Schutzgebiete oder für einzelne Teile derselben polizeiliche und sonstige die Verwaltung betreffende Vorschriften zu erlassen und gegen deren Nichtbefolgung Strafen, eventuell die Einziehung von Gegenständen anzudrohen. Die Ausübung dieser Befugnisse kann der Reichskanzler der mit einem Kaiserlichen Schutzbriefe für das betreffende Schutzgebiet versehenen Kolonialgesellschaft sowie den Beamten des Schutzgebiets übertragen (§ 15 Abs. 3 SchGG.).
Aus diesen Bestimmungen folgt, dass die unbeschränkte Macht, den Kolonien Gesetze zu geben, nur das Reich hat; der Kaiser hat dieses Recht nur, soweit es das Reich nicht ausübt oder es den Kaiser ermächtigt, trotz reichsgesetzlicher Regelung abändernde oder ergänzende Vorschriften zu erlassen. Die Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags ist zu den Verordnungen des Kaisers nicht erforderlich. Die Reichsverfassung gilt in den Schutzgebieten nicht, und das Schutzgebietsgesetz schreibt die Zustimmung nicht vor. Dagegen bedürfen die Verordnungen der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, da der Kaiser nur in seiner Eigenschaft als Reichsorgan die Schutzgewalt ausübt. Den Erlassen des Reichskanzlers setzt wiederum die kaiserliche Verordnung (selbstverständlich außer dem Reichsgesetz) eine Schranke. Was durch kaiserliche Verordnung geregelt ist, ist der Verfügung des Reichskanzlers entzogen.
Das Schutzgebietsgesetz selbst hat auf den wichtigsten Rechtsgebieten der Verordnungsgewalt des Kaisers Grenzen gesetzt. Es unterscheidet zunächst zwischen Eingeborenen und Nichteingeborenen. Die Regelung der Rechtsverhältnisse nur der ersteren ist dem Kaiser unbeschränkt überlassen; ihm ist dabei die Ermächtigung gegeben, bestimmte andere Teile der Bevölkerung den Eingeborenen gleichzustellen (§§ 4, 7 SchGG.).
Die Rechtsverhältnisse der Nichteingeborenen (Weißen) dagegen hat, mit Ausschluss der Militärgerichtsbarkeit (§ 5), das Schutzgebietsgesetz in der Hauptsache selbst geordnet.
§ 2 regelt die Gerichtsbarkeit der Weißen,
§ 3 bestimmt das Zivil- und Strafrecht, das gelten soll, sowie das zu beobachtende Gerichtsverfahren,
§ 7 trifft über die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes Bestimmung. Im allgemeinen, soweit nicht örtliche Verhältnisse der Schutzgebiete Abweichungen erheischten, sind die Vorschriften des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900 (RGBl. S. 213) auf die Kolonien übertragen.
Mit einigen Einschränkungen gelten danach auch dort das bürgerliche Reichsrecht (Bürgerliches Gesetzbuch, Handelsgesetzbuch, Wechselordnung u. a.), daneben das noch in Geltung befindliche preußische Recht, die strafrechtlichen Vorschriften der Reichsgesetze (Strafgesetzbuch, Konkursordnung usw.), die deutschen Prozessordnungen (Zivil- und Strafprozessordnung usw.), die Konkursordnung usw. und deutsche Kostengesetze (§ 19 KonsGG.). Die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes erfolgen nach den Vorschriften des Gesetzes, betr. die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes von Reichsangehörigen im Auslande, vom 4. Mai 1870 (RGBl. 1896, 614). In den Schutzgebieten ist die obligatorische Zivilehe eingeführt (§ 7 SchGG.). Durch die reichsgesetzliche Regelung sind diese Materien der Verordnungsgewalt des Kaisers im allgemeinen entzogen. Das Schutzgebietsgesetz selbst hat jedoch im § 6 eine Reihe von Ausnahmen festgestellt, in denen durch Kaiserliche Verordnung abändernde oder ergänzende Vorschriften erlassen werden können.
Die §§ 8 – 14 SchGG. enthalten Bestimmungen spezieller Art.
Durch § 8 wird der Reichskanzler ermächtigt, Befugnisse, die den deutschen Konsuln im Auslande zustehen, Beamten in den Schutzgebieten zu übertragen.
§ 9 regelte die Verleihung der Reichsangehörigkeit an Ausländer und Eingeborene. Er ist jetzt in der Hauptsache durch die Vorschriften des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913 insbesondere durch die §§ 2, 33 – 35 ersetzt.
Nach §10 SchGG. können durch Kaiserliche Verordnung Eingeborene der Schutzgebiete in Beziehung auf das Recht zur Führung der Reichsflagge (Gesetz, betr. das Flaggenrecht der Kauffahrteischiffe, vom 22. Juni 1899 [RGBl. S. 319]) den Reichsangehörigen gleichgestellt werden.
§§ 11 – 13 regeln die Verleihung der juristischen Persönlichkeit an deutsche Kolonialgesellschaften.
§ 14 gewährleistet den Angehörigen der im Deutschen Reiche anerkannten Religionsgemeinschaften Religionsfreiheit in den Schutzgebieten.
§ 16 überlässt es in näher bezeichneten Fällen der Kaiserlichen Verordnung, zu bestimmen, wann die §§ 2 u. 7 SchGG. in Kraft treten sollen.
Die Novelle vom 16. Juli 1912 (RGBl. S. 443) verlangt zum Erwerb und zur Abtretung eines Schutzgebiets oder von Teilen eines solchen ein Reichsgesetz, sofern es sich nicht um bloße Grenzberichtigungen handelt. Die Novelle vom 22. Juli 1913 (RGBl. S. 599) schlussendlich erklärt in Abänderung der §§ 28, 80 BGB. den Reichskanzler für zuständig, Vereinen und Stiftungen, die in den Schutzgebieten ihren Sitz haben, ersteren die Rechtsfähigkeit zu verleihen, letzteren die erforderliche Genehmigung zu erteilen, auch in diesen Fällen die im §§ 33 Abs. 2 und in den §§ 43, 87 BGB. vorgesehenen Entscheidungen zu treffen (Genehmigung einer Satzungsänderung, Entziehung der Rechtsfähigkeit, Umwandlung oder Aufhebung der Stiftung). Zugleich mit dem Schutzgebietsgesetz ist die in dessen Ausführung ergangene Kaiserliche Verordnung, betr. die Rechtsverhältnisse in den deutschen Schutzgebieten, vom 9. November 1900 (RGBl. S. 1005) in Kraft getreten.
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Quellenangabe:
Straehler. Deutsches Kolonial-Lexikon (1920), Band III, S. 317 f.
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