Stettin Hauptstadt der preußischen Provinz Pommern, Stadtgeschichte in alten Ansichtskarten und zeitgenössischen Texten.
Stettin 224.119 Einwohner – 1905 = 17. Platz der größten Städte des Deutschen Reichs.
Stettin in Pommern im Königreich Preußen
Stettin ist die Hauptstadt der preußischen Provinz Pommern und des gleichnamigen Regierungsbezirks, Stadtkreis, an der hier mehrfach geteilten Oder. Der Regierungsbezirk Stettin umfasst 12.078 km² (219,36 Quadratmeilen) mit (1905) 857.807 Einwohnern, darunter 823.498 Evangelische, 23.185 Katholiken und 5752 Juden (67 Einwohner auf 1 km²).
Folgende Behörden haben in der Stadt Stettin ihren Sitz: das Oberpräsidium der Provinz Pommern, eine königliche Regierung, das Provinzial-Schul- und Medizinalkollegium, das Konsistorium, die Provinzialsteuerdirektion, die Provinzialverwaltung, die Pommersche Generallandschaftsdirektion, die Provinzialfeuersozietät, die Landesversicherung der Provinz, die Rentenbank für Pommern und Schleswig-Holstein, 2 Spezialkommissionen, eine Landwirtschafts- und eine Handwerkskammer, ein königliches Polizeipräsidium, 2 Hauptsteuerämter, eine Eisenbahndirektion, eine Oberpostdirektion, ein Oberlandes- und ein Landgericht, ein Landratsamt (für den Kreis Randow), ein Seemannsamt etc.
Folgende Militärbehörden befinden sich in Stettin: das Generalkommando des 2. Armeekorps, das Kommando der 3. Division, der 5., 6. und 74. Infanterie-, der 3. Kavallerie-, der 3. Feldartillerie- und 2. Gendarmeriebrigade sowie die 2. Kavallerie- und die 2. Küstenbezirks-Inspektion.
Die städtischen Behörden zählen 24 Magistratsmitglieder und 72 Stadtverordnete. Die städtischen Einnahmen beliefen sich 1905/06 auf 39.665.738 Mark, die städtische Schuld Ende März 1905 auf 52.662.791 Mark, der ein Aktivvermögen von 78.319.336 Mark gegenübersteht.
Zum Oberlandesgerichtsbezirk Stettin gehören die 5 Landgerichte zu Greifswald, Köslin, Stargard, Stettin und Stolp; zum Landgerichtsbezirk Stettin gehören die 15 Amtsgerichte zu Altdamm, Bahn, Fiddichow, Gartz a. O., Greifenhagen, Kammin, Neuwarp, Pasewalk, Penkun, Pölitz, Stepenitz, Stettin, Swinemünde, Ückermünde und Wollin.
Stettin besteht aus der eigentlichen Stadt am linken Flussufer mit ausgedehnten neuen Stadtteilen und Vorstädten, welch letztere nach der Entfestigung angelegt sind, und aus der Lastadie und den dazugehörigen Anlagen am rechten Ufer. Durch Eingemeindung von Vororten, wie Grabow, Bredow, Nemitz etc., hat die Stadt im letzten Jahrzehnt bedeutend an Umfang zugenommen. Beide Ufer der Oder sind für den allgemeinen Verkehr durch drei Brücken (Bahnhofsbrücke, Hansabrücke und Baumbrücke) verbunden; für den Eisenbahnverkehr sind über die Oder und ihre Nebenströme besondere Überbrückungen hergestellt. Groß ist die Zahl der zum Teil mit gärtnerischen Schmuckanlagen versehenen öffentlichen Plätze und der mit schönen Alleen durchzogenen Straßen.
Unter den ersteren sind besonders zu nennen der Paradeplatz, der Königsplatz mit den Standbildern Friedrichs des Großen (von Schadow) und Friedrich Wilhelms III. (von Drake), der Kaiser Wilhelms-Platz, durchzogen von der Kaiser Wilhelm-Straße, anderen Einmündung in den Parade- und den Königsplatz das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. (von Professor Hilgers) aufgestellt ist, der Jakobi-Kirchplatz mit dem Denkmal des Komponisten Löwe (modelliert von Glümer), der Rathausplatz mit schönem Monumentalbrunnen (modelliert von Manzel), der Platz Am Berliner Tor, ebenfalls mit Monumentalbrunnen (modelliert von Federhoff), der Bismarckplatz, der Arndtplatz etc.
Stettin hat 9 evangelische Kirchen, unter denen die in ihrer jetzigen Gestalt spätgotische gründet) als die erste christliche Kirche in Pommern und die Jakobikirche (aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts) wegen ihrer Größe bemerkenswert sind. Neu sind die Lutherkirche, die St. Gertrudkirche und die Bugenhagenkirche (1907). Außerdem sind noch vorhanden eine altlutherische, eine katholische und eine apostolische Kirche, 4 Baptistenkapellen und eine Synagoge. Von den 224.119 Einwohnern (1905), sind 209.152 Evangelische, 8635 Katholiken und 3010 Juden.
Andere bemerkenswerte Gebäude sind das königliche Schloss, das neue Regierungsgebäude (1907), das Militärkasino, das Schauspielhaus, die Börse, das Vereins- und Konzerthaus, der Zirkus, das neue, großartige Krankenhaus (auf einer Anhöhe vor der Stadt, 1879 eröffnet, mit ca. 300 Betten) sowie eine Anzahl von großartigen Neubauten, die teils verschiedenen Verwaltungsbehörden, teils als Schulen dienen. Aus der Zeit, da Stettin noch Festung war, sind noch zwei von Friedrich Wilhelm I. erbaute monumentale Tore (Königstor und Berliner Tor) vorhanden, die jetzt innerhalb der Stadt stehen und den Mittelpunkt breiter, mit Anlagen versehener Passagen bilden.
Garnisonen in Stettin sind ein Grenadierregiment Nr. 2, ein Infanterieregiment Nr. 148, ein Feldartillerieregiment Nr. 38 und ein Pionierbataillon Nr. 2.
Industrie und Handel sind bedeutend. Stettin hat große Schiffswerften, Maschinenfabriken und Eisenwerke, darunter die Maschinenfabrik und Schiffbauanstalt „Vulkan“ in der Vorstadt Bredow mit 7500 Arbeitern, die „Stettiner Oderwerke“ mit 1000 Arbeitern, eine Schiffswerft, Kesselschmiede und Maschinenbauanstalt mit 500 Arbeitern und das Eisenwerk „Kraft“ in Stolzenhagen mit 1200 Arbeitern, eine Nähmaschinen- und Fahrradfabrik mit 1600 Arbeitern, chemische, Schamotte-, Ziegel- und Zementfabriken mit 3100 Arbeitern, sehr bedeutende Herrenkleiderkonfektion, Fabriken für Motorfahrzeuge, Zucker und Zuckerwaren, Schokolade, Parfümerien, Seife, Stearinkerzen, Kartonnagen, Malz, Kunstseide, Papier, Dachpappe etc., Anthrazit-, Koks- und Kohlenwerke (Hedwigshütte), Branntweinbrennerei, Bierbrauerei, große Mühl- und Sägewerke etc.
Für den Handel in Stettin, der durch eine Handelskammer, durch 24 Konsulate fremder Länder, eine Börse, eine Reichsbankhauptstelle (Umsatz 1906: 2047,3 Millionen Mark), die landschaftliche Bank, Stettiner Bank und andere große Geldinstitute sowie durch mehrere Versicherungsgesellschaften (Lebensversicherungsgesellschaft Germania, Preußische National-Versicherungsgesellschaft, Stettiner Rückversicherungsanstalt u. a.) unterstützt wird, ist Stettin der erste Seehandelsplatz des preußischen Staates. Die dortigen Hafenanlagen wurden 1894–98 mit einem Kostenaufwand von über 30 Millionen Mark bedeutend erweitert und wie in Hamburg und Bremen mit einem Freihafen versehen. Das große neue Hafenbassin befindet sich östlich vom Stadtteil Lastadie und ist durch den Oder-Dunzigkanal mit dem Hauptarm der Oder verbunden.
Auch der alte Hafen von Stettin am Bollwerk wurde gleichzeitig erweitert und vertieft. Ausgeführt werden vorzugsweise: Getreide, Mehl, Sprit, Ölfrüchte, Holz, Chemikalien, Kartoffeln, Kraftmehl, Heringe, Zichorie, Zucker, Kohlen, Lumpen, Blei, Zink, Eisen, Zement, Abraumsalze, Malz, Gras- und Kleesaat, Faßdauben, Bier, Reis, Salz, Stärkezucker, Ölkuchen, Pappe und Packpapier, feuerfeste Steine etc. Die Gesamtausfuhr zur See bezifferte sich 1905 auf 823.275 Tonnen. Eingeführt werden: Steinkohlen, Eisen und Eisenwaren, Erden, Erze, Chemikalien, Eis, Getreide, Mehl, Kleie, Bau- und Nutzholz, Heringe, Reis, Ölsamen, Mais, Kaffee, Fettwaren, Petroleum, Steine etc. Die Gesamteinfuhr zur See betrug 1905: 3.006.788 Tonnen. Die Stettiner Reederei zählte 1905: 10 Segler zu 4671 und 105 Seedampfer zu 67.035 Registertonnen Raumgehalt.
Es kamen im selben Jahr in Stettin an: 4923 Schiffe zu 1.481.518 Registertonnen, darunter 3295 Dampfer zu 1.339.048 Registertonnen; es gingen ab: 4914 Schiffe zu 1.486.053 Registertonnen, darunter 3299 Dampfer zu 1.344.607 Registertonnen. Regelmäßige Dampferverbindungen unterhält Stettin mit den wichtigsten Häfen der Ostsee, mit norwegischen, belgischen, holländischen, englischen und nordamerikanischen Häfen. Für den Eisenbahnverkehr ist Stettin mit zahlreichen Bahnhöfen Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Berlin-Stettin, Stettin-Strasburg i. U., Stettin-Jasenitz, Stettin-Belgard und Reppen-Stettin. Stettin verfügt über eine elektrische Straßenbahn.
An Bildungs- und anderen ähnlichen Einrichtungen besitzt Stettin (1905) 3 Gymnasien, 2 Realgymnasien, 2 Lehrerinnenseminare, eine Maschinenbau-, eine Baugewerk-, eine Seemaschinisten- und eine Navigationsschule, eine Landwirtschafts- und eine Handelsschule, eine Hebammenlehranstalt, eine Taubstummen- und eine Blindenanstalt, ferner eine Stadtbibliothek, ein Altertums-, ein naturwissenschaftliches und ein Kunstmuseum, einen Altertums- und einen Kunstverein, 2 Theater, einen Botanischen Garten etc.
Sehr groß ist die Zahl der Wohltätigkeitsanstalten und milden Stiftungen, darunter das Johanniskloster (für arme alte Bürger sowie für deren Witwen und Töchter), ein Waisenhaus, 2 Siechenhäuser, eine Kinderheilanstalt, ein Taubstummen-, ein Krüppel-, ein Soldaten- und ein Seemannsheim, ein Magdalenenstift, mehrere Diakonissenanstalten, eine Walderholungsstätte „Hohenkrug“ für Lungenkranke, die „Kückenmühler Anstalten“ zur Pflege, Erziehung und bez. Heilung Schwachsinniger und Epileptischer etc. Stettin besitzt ein großartiges, musterhaft eingerichtetes Krankenhauses. Zu erwähnen ist noch die 1884 entdeckte Stahlquelle, deren Wasser gegen Magen-, Darm- und Leberleiden etc. benutzt und auch versendet wird.
Zum Oberlandesgerichtsbezirk Stettin gehören die 5 Landgerichte zu Greifswald, Köslin, Stargard, Stettin und Stolp; zum Landgerichtsbezirk Stettin gehören die 15 Amtsgerichte zu Altdamm, Bahn, Fiddichow, Gartz a. O., Greifenhagen, Kammin, Neuwarp, Pasewalk, Penkun, Pölitz, Stepenitz, Stettin, Swinemünde, Ückermünde und Wollin.
In der reizvollen Umgegend sind besonders bemerkenswert: die Eckerberger Forst, Besitzung der Familie Quistorp, mit dem 40 m hohen, aussichtsreichen Quistorpturm, die herrliche Buchheide mit prächtigen, alten Buchen, oder abwärts der Vergnügungsort Frauendorf u. a.
Geschichte:
Stettin besitzt seit 1243 deutsches Stadtrecht. Seit etwa 1120 war es Sitz eines pommerschen Fürstenhauses und blieb es bis zum Aussterben der einheimischen Dynastie. 1360 war Stettin Mitglied des Hansebundes und nahm 1522 die Reformation an. Hier schlossen im Dezember 1570 Schweden und Dänemark unter Vermittlung des Kaisers Frieden.
Am 11. Juli 1630 wurde Stettin vom Schwedenkönig Gustav Adolf eingenommen, der große Verbesserungen an den Befestigungsanlagen vornahm. Im Westfälischen Frieden wurde die Stadt nebst Vorpommern an Schweden abgetreten. Im Nordischen Krieg 1713 von den verbündeten Russen und Sachsen abermals belagert, wurde Stettin infolge einer Übereinkunft vom 29. September von Preußen und Holstein besetzt und erst im Frieden von Stockholm 1720 nebst Vorpommern an Preußen abgetreten. Nach der Niederlage von 1806 übergab am 29. Oktober General von Romberg die Festung ohne Widerstand den Franzosen, die sie bis 5. Dezember 1813 behielten. 1873 wurde die Festung aufgehoben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) wurde Pommern Anfang 1945 östlich des Flusses Oder unter polnische Verwaltung gestellt und die Bevölkerung planmäßig vertrieben. Obwohl in Stettin (die Stadt liegt westlich der Oder) bereits eine deutsche Verwaltung aufgebaut wurde, übergibt die Rote Armee am 3. Juli 1945 die Stadt an Polen. Alle Bewohner werden aus der Stadt vertrieben. Ende 1945 besetzt polnisches Militär auch das westliche Umland von Stettin bis Swinemünde und vertreibt die dort ansässige Bevölkerung vollständig. Stettin, polnisch Szczecin, ist heute eine Stadt im Nordwesten Polens mit 404.461 (2016) Einwohnern.
Bildergalerie
Quellenhinweise:
- Prof. A. L. Hickmann’s Geographisch-statistischer Taschen-Atlas des Deutsches Reichs, Leipzig und Wien 1897
- „F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas“, Verlag von Velhagen & Klasing, 1902
- „Harms Vaterländische Erdkunde“, 1906
- „Post-Taschen-Atlas von Deutschland nebst Ortsverzeichnis“, Th. Pfuhl, Berlin, 1906
- „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 20 Bänden, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1905-1911
- „Petzolds Gemeinde- und Ortslexikon des Deutschen Reiches“, Band 1 und 2, Bischofswerda (Sachsen), 1911
- „Schwarzbuch der Vertreibung 1945-1948: Das letzte Kapitel unbewältigter Vergangenheit“ von Heinz Nawratil, Universitas 2007
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