St. Gallen, Gesamtansicht

Sankt Gallen

Der Kanton Sankt Gallen in einer Darstellung um 1900, Geschichte in alten Ansichtskarten und zeitgenössischen Texten.

Hauptort Sankt Gallen

St. Gallen mit Säntis (2504 m)
St. Gallen mit Säntis (2504 m)

Kanton Sankt Gallen

Kanton St. Gallen, Karte 1914
Kanton St. Gallen, Karte 1914

Sankt Gallen, einer der nordöstlichen Kantone der Schweiz, grenzt östlich an Österreich und Graubünden, südlich an Graubünden, Glarus und Schwyz, westlich an Zürich, nördlich an Thurgau und umschließt den Kanton Appenzell. Der Flächeninhalt beträgt 2019 km² (36,7 Quadratmeilen). Der Kanton umfasst von Südosten nach Nordwesten die hochalpinen Gebiete der Sardonagruppe (Ringelspitze 3249 m) mit Abdachungen zum Walensee (Seez-Linthgebiet), dann die alpinen Churfirsten und das Säntisgebirge (2504 m, Appenzeller Alpen), getrennt durch das obere Toggenburg, beiden vorgelagert die subalpinen und montanen Nagelfluthgebiete bis Wyl und über St. Gallen hinaus bis zum Tannenberg (901 m). Diese Gelände sind durchfurcht vom Rhein- und Seeztal, der Linth (Gaster), der Thür (Toggenburg, Alte Landschaft, Fürstenland von 400 bis mehr als 1000 m Höhe).

St. Gallen, Theaterplatz
St. Gallen, Theaterplatz

Paßartige Übergänge führen hauptsächlich von St. Gallen und Altstätten aus in den Kanton Appenzell. Das Toggenburg steht mit dem Tößtal über die Hulftegg (997 m), mit dem Linthgebiet über den Hummelwald und mit dem Werdenberg durch den Paß von Wildhaus (1104 m) in Verbindung, alle drei fahrbar, während der Kunkels, der häufig genutzte Paß des Sarganser Landes (1351 m), höchstens Karren zugänglich ist. Die drei großen Bassins des Boden-, Walen- und Zürichsees gehören teilweise dem Kanton St. Gallen an. Das Klima ist je nach Höhe und Lage verschieden; mild in den nördlichen und nordwestlichen Gegenden, um Wyl, Rorschach, im Unter-Rheintal, und am wärmsten in der Talsohle des Bezirks Sargans; in der Umgebung der Hauptstadt rasch wechselnd und rau. Altstätten im Rheintal (470 m) hat ein Jahresmittel von 8,6°C, St. Gallen (680 m) von 7,15°C und Ebnat (646 m) von 6,8°C.

St. Gallen, Jugendfest, Mädchen im Festzuge
St. Gallen, Jugendfest, Mädchen im Festzuge

Stadt Sankt Gallen

Sankt Gallen ist die Hauptstadt des gleichnamigen Kantons und Bezirks. Sie liegt an der Steinach, in einem Hochtal, 670 Meter über dem Meer und an der Eisenbahn Rorschach-Winterthur. Der Ort entstand um das berühmte Kloster. Die ehemaligen Klostergebäude (sie bilden eine Enklave der Nachbargemeinde Tablat) sind außer den bischöflichen Räumlichkeiten in Regierungslokale, Schulen, Wohnungen etc. umgewandelt. Zusammen mit der doppelt getürmten, gewaltigen Kathedrale (Stiftskirche, 1756 bis 1767 im Rokokostil erbaut), dem Zeughaus, der Kinderkapelle etc. umstehen dieselben den umfangreichen, viereckigen Klosterhof. Noch immer beherbergen sie die berühmte Stiftsbibliothek. In der Nähe des Klosters erhebt die reformierte Hauptkirche St. Laurenz (1850–54 restauriert) ihren schlanken gotischen Turm.

Buchs, Schloss und Städtchen Werdenberg
Buchs, Schloss und Städtchen Werdenberg

Andere sehenswürdige Gebäude sind das Rathaus, das Bürgerspital, die Unionbank, das Gewerbemuseum, die Helvetia, das Kantonsspital, das Kantonsschulgebäude auf dem Brühl mit der Bürgerbibliothek und den Sammlungen der Ostschweizerischen Geographischen Kommerz-Gesellschaft, das Museum mit naturhistorischen Sammlungen, den Sammlungen des Historischen Vereins und der Gemäldesammlung des Kunstvereins, die Strafanstalt St. Jakob, die neuen Kirchen in St. Leonhard und im Linsenbühl, das Postgebäude bei dem Bahnhof. An die 1895 vollendete Wasserversorgung aus dem Bodensee erinnert der Broderbrunnen (Monument von Bösch); den Marktplatz schmückt das Vadiandenkmal. Die Zahl der Einwohner betrug im Jahr 1900 = 33.519 (1905 ca. 35.000), davon 17.572 Reformierte, 15.006 Katholiken und 419 Juden. Dem gewaltigen Handel und der Industrie dienen die Börse, 14 Bankinstitute (darunter die Bank in St. Gallen und die St. Galler Kantonalbank mit 9, bez. 8 Millionen Franken Aktienkapital), das kaufmännische Direktorium, die 1899 eröffnete städtische Handelsakademie, das Gewerbemuseum, Schule für Stickereizeichner, Frauenarbeitsschule. Als Zentrum der Stickerei der Ostschweiz und Vorarlbergs steht die Stadt mit der ganzen Welt in enger Verbindung und ist zugleich Hauptmarkt für Appenzell und Thurgau. St. Gallen hat vortreffliche Schulen (Gymnasium, Mädchen- und Knabenrealschule) und mehrere große Vereine. Zahlreiche Werke der Gemeinnützigkeit zieren die lebhafte, auf den Höhen des Rosen- und Freudenbergs mehr und mehr mit Villen bedeckte Stadt. Lohnende Ausflüge führen auf den Freudenberg (Drahtseilbahn), auf Peter und Paul mit dem Wildpark, zur Falkenburg und auf die Solitüde.

Bad Ragaz, Dorfplatz
Bad Ragaz, Dorfplatz

Aufnahme in die Schweizer Eidgenossenschaft:

Im Jahr 1803 trat Sankt Gallen als 14. Kanton der Eidgenossenschaft bei.

Schweizer Kantone, Karte 1914
Schweizer Kantone, Karte 1914

Größe:

Angaben 1880: 2019,0 km²

Bevölkerungsdichte:

99,03 Einwohner/km² (Angaben 1879)

Einwohner:

  • 1879: 199.954
  • 1880: 209.801
  • 1900: 250.992

Gewässer:

Bodensee, Zürichsee, Walensee und die Flüsse Rhein, Linth, Thur und Sitter

St. Gallen, Neuer Bahnhof und Postgebäude
St. Gallen, Neuer Bahnhof und Postgebäude

Sprachen:

  • 99,8 % Deutsch
  •  0,1 % Französisch
  •  0,1 % Italienisch und Rätoromanisch

Religionen:

Die Bevölkerung ist deutsch und entsprechend der geschichtlichen Entwickelung der einzelnen Landschaften zu 3/5 katholisch und 2/5 protestantisch (99.114 Protestanten). Im Fürstenland und Linthgebiet, auch im Alt-Toggenburg und Ober-Rheintal herrscht das katholische Bekenntnis; die Reformierten überwiegen in der Hauptstadt, im Neu-, Ober- und Unter-Toggenburg, im Unter-Rheintal,. am entschiedensten in Werdenberg. Seit 7. November  1845 bildet der katholische Kantonsteil ein eignes, direkt unter dem Papste stehendes Bistum. Noch bestehen 13 Klöster.

  • 39,0 % protestantisch
  • 60,8 % römisch-katholisch
St. Gallen, Kloster
St. Gallen, Kloster

Wirtschaft:

Von der Bodenfläche sind 1839,7 km² (91,1 %) produktives Land; 405,55 km² Wald, 4,84 km² Rebland, 1429,31 km² Acker-, Garten-, Wiesen- und Weideland. Von unproduktivem Boden entfallen 7,4 km² auf Gletscher, 84,98 auf Seen. Der Feldbau, beschränkt auf die flacheren Landschaften, vermag bei weitem nicht den Bedarf an Getreide zu decken. Mais wird in Sargans, Werdenberg und im Rheintal gebaut. Die Weinrebe, auf die Täler des Rheins und der Linth beschränkt, liefert ein ausgezeichnetes Getränk. Der Obstbau ist ebenfalls ungenügend, am stärksten im Fürstenland, Rheintal und Gaster. St. Gallen, Wyl und Altstätten haben große Obstmärkte. Auch die Waldungen genügen dem Bedürfnis nicht; doch schickt das Oberland viel Holz nach Zürich und Glarus. Der Kanton zählte 1901: 7194 Pferde, 104.558 Stück Rindvieh, 35.994 Schweine, 6245 Schafe, 20.037 Ziegen und 15.782 Bienenstöcke. Viel Rindvieh findet sich hauptsächlich im Toggenburg und Gaster. Letzteres hat den schönen Schwyzer Schlag, kleiner ist die Toggenburger Rasse.

Ausgang Taminaschlucht bei Ragaz
Ausgang Taminaschlucht bei Ragaz

Der Vieh-, Butter- und Käsemarkt von Lichtensteig (und Wyl) ist stark besucht. Für die Hebung einer rationellen Alpenwirtschaft wird in neuester Zeit von Seiten des kantonalen Volkswirtschaftsdepartements, vom Bund unterstützt, sehr viel getan. 34 Gemeinden des Kantons St. Gallen besitzen 304 Alpen mit einer Gesamtfläche von 52,177 Hektar oder 26,51 % der Gesamtfläche des Kantons und (1905) einem Kapitalwert von ca. 14 Millionen Franken. In den 17 kantonalen Fischzuchtanstalten wurden 1903/04: 6,86 Millionen Eier von Felchen, Fluss- und Bachforellen, Seeforellen, Hechten etc. eingesetzt und 3,75 Millionen ausgebrütete Fischchen ausgesetzt. Schöne Sandsteine werden bei Rorschach und Bolligen (am oberen Zürichsee) gebrochen. Mels liefert ausgezeichnete Mühlsteine und Ofenplatten, Pfäfers Dachschiefer, Degersheim (im untern Toggenburg) eine vielverwendete Nagelfluh. Das Eisenbergwerk am Gonzen ist nicht mehr im Betrieb. Unter den Mineralquellen ist die von Pfäfers die bekannteste. Die Baumwollindustrie, namentlich Stickerei mit ihren Hilfsgewerben, bildet den Hauptindustriezweig des Kantons. Im Jahr 1900 gab es 23.000 Stickmaschinen, worunter 2500 mit mechanischem Antrieb, in 280 Fabriken mit 10.000 Arbeitern und einer Gesamtproduktion von ca. 100 Millionen Franken. Außerdem bestehen 10 Baumwollspinnereien mit 283.898 Spindeln, Zwirnereien, Maschinenfabriken, schlussendlich Seidenindustrie in der Gegend von Werdenberg über Sargans nach Gaster und dem Seebezirk. Der große Verkehrsplatz des Kantons ist die Hauptstadt St. Gallen. Mit dem Bodenseehafen Rorschach und dem Rheintal ist sie durch eine Eisenbahn verbunden, ebenso mit dem Appenzeller Land durch die schmalspurige Appenzeller Bahn über Winkeln-Herisau, die Zahnrad-Straßenbahn St. Gallen-Gais und die elektrische Trambahn St. Gallen-Trogen. In Rorschach knüpfen die Bahnlinie nach Romanshorn-Konstanz und die Zahnradbahn nach Heiden (9 % Steigung) an sowie die Dampferkurse des Bodensees; die Bundesbahnen führen das Rheintal aufwärts nach Altstätten-Sargans-Chur und von Sargans die Linthlinie nach Wesen-Rapperswil-Uster-Zürich. Die Toggenburger Bahn verbindet Wyl mit Ebnat und führt bald durch den Rickentunnel von hier nach Uznach-Rapperswyl.

St. Gallen, Katholikentag 1913
St. Gallen, Katholikentag 1913

Das heutige Schulwesen des Kantons St. Gallen gehört zu den regenerierten. Über der Primarstufe der Volksschule (285 Schulen mit 37.293 Schülern) folgt die fakultative der Sekundärschule (38 Schulen mit 2732 Zöglingen). Das staatliche Lehrerseminar, für beide Konfessionen gemeinsam, befindet sich in Rorschach. Als höhere Lehranstalt besteht die Kantonsschule in St. Gallen; sie zerfällt in ein Gymnasium und eine Industrieschule mit nach technischer und merkantiler Richtung getrennten Kursen. Auch bestehen in Sornthal eine Molkereischule, bei St. Gallen eine Taubstummenanstalt, in Pfäfers eine kantonale Irrenheilanstalt, bei Wyl ein Altersasyl, und im ganzen Kanton gibt es 6 Rettungsanstalten sowie im Toggenburg eine Zwangsarbeitsanstalt. Die öffentlichen Bibliotheken zählen 170.000 Bände; die bedeutendsten sind die Stiftsbibliothek (1742 Handschriften, 1583 Bände Inkunabeln, 50.000 Bände) und die Vadianische oder Bürgerbibliothek (521 Handschriften, 416 Bände Inkunabeln, 80.000 Bände) in St. Gallen.

Schloss Werdenberg bei Buchs
Schloss Werdenberg bei Buchs

Politische Verwaltung und Einteilung:

Die Verfassung ist repräsentativ-demokratisch. Die Legislative und die Oberaufsicht der gesamten Landesverwaltung ist einem Großen Rat (Kantonsrat) übertragen, der gemeindeweise auf drei Jahre gewählt wird, je ein Mitglied auf 1500 Seelen, aber so, dass jede Gemeinde wenigstens ein Mitglied zu wählen hat. Die von ihm erlassenen Gesetze unterliegen der Volksabstimmung, sofern 4000 Bürger es verlangen. Die oberste Exekutivbehörde ist ein Regierungsrat von 7 Mitgliedern, die vom Großen Rat auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt werden; der je auf ein Jahr gewählte Präsident führt den Titel Landammann. Die oberste richterliche Behörde ist ein ebenfalls vom Großen Rat, aber auf sechs Jahre gewähltes Kantonsgericht von 9 Mitgliedern. In den 15 Bezirken bestehen je ein Bezirksammann (für die Exekutive) und ein Bezirksgericht, in den Gemeinden ein Gemeinderat, dessen Präsident den Titel Gemeindeammann führt, und ein Vermittler. Die Staatsrechnung von 1905 zeigt an Einnahmen 5.772.912 Franken, an Ausgaben 5.789.823 Franken. Unter den Einnahmen erscheinen als größter Posten die direkten Abgaben (2.657.303 Franken), unter den Ausgaben das Bauwesen (Straßen- und Wasserbau 1.263.610 Franken), Erziehung (802.689 Franken). Das Staatsvermögen betrug Ende 1905: 8.524.839 Franken. Zu diesem unmittelbaren Staatsgut kommen noch 41 Spezialverwaltungen und Fonds, so dass der gesamte Vermögensbestand sich auf 25.848.679 Franken beläuft.

Das Kantonswappen zeigt in Grün ein silbernes Liktorenbündel mit grünen Bändern gebunden;

die Kantonsfarben sind Grün und Weiß.

St. Gallen
St. Gallen

Städte und Gemeinden:

Der Kanton Sankt Gallen besteht aus 15 Bezirken. Sankt Gallen, Jona, Gossau, Wil, Uzwil, Altstätten, Buchs, Rorschach, Wattwil, Rapperswil, Bad Ragaz, Sargans, Wildhaus

Geschichte:

Die Stadt St. Gallen ist aus dem Kloster und dieses aus der Zelle des heiligen Gallus hervorgegangen, der sich hier 613 als Einsiedler niederließ. Das Kloster, 720 vom heiligen Othmar gegründet, erhielt unter Pippin die Regel des heiligen Benediktus, Ludwig der Fromme erklärte es für unabhängig vom Gaugrafen und Bischof und mit Abt Gozbert (816–837), dem Gründer der berühmten Bibliothek, begann seine literarische und künstlerische Blütezeit. Nach einem noch erhaltenen Bauplan von 830 zählte es 40 Firste, und durch den Musiker Notker Balbulus, den Bildschnitzer Tuotilo, den Sprachforscher Notker III, die als Dichter und Chronisten berühmten Ekkeharde u.a. erhob sich die Klosterschule zu einer der ersten des Reiches. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts verblich dieser literarische Glanz. Die Äbte wurden kriegerische Reichsfürsten, deren Tätigkeit in Fehden mit den benachbarten Dynasten und in der Teilnahme an den Reichskriegen ausging. Ihr Gebiet bildete zwischen Bodensee und Säntis ein geschlossenes Territorium und umfasste außerdem manche zerstreute Besitzung jenseits des Rheins und Bodensees. Aber im 14. und 15. Jahrhundert drohte das geistliche Fürstentum von innen heraus zu zerfallen. Nicht nur die Appenzeller, auch die Behörden der allmählich um das Kloster entstandenen, im 10. Jahrhundert mit Mauern umgebenen und durch das Leinwandgewerbe blühenden Stadt St. Gallen emanzipierten sich von der geistlichen Herrschaft. Nachdem ihr Rudolf von Habsburg 1281 die Unveräußerlichkeit der Reichsvogtei zugestanden, beseitigte sie durch Einführung einer Zunftverfassung 1353 den Einfluss des Abtes auf die städtische Regierung, erwarb 1415 mit dem Blutbann und Münzrecht die völlige Autonomie und wurde am 13. Juni 1454 als zugewandter Ort in den ewigen Bund der Eidgenossen aufgenommen, unter deren Vermittlung sie sich 1457 durch Bezahlung von 7000 Gulden von allen Ansprüchen des Abtes für immer befreite. Inzwischen war auch der Abt am 17. August 1451 durch ein ewiges Schutzbündnis mit Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus ein zugewandtes Glied der Eidgenossenschaft geworden. 1468 vermehrte sich der Besitz des Klosters durch die Erwerbung der Grafschaft Toggenburg.

Rapperswil, Schlossterrasse
Rapperswil, Schlossterrasse

Ein Versuch des Abtes, seinen Sitz nach Rorschach zu verlegen, scheiterte an dem Widerstand der St. Galler und Appenzeller, die den Neubau zerstörten; ein sich daran schließender Aufstand der Gotteshausleute wurde durch die vier Schirmorte der Abtei unterdrückt, die auch der Stadt St. Gallen und Appenzell schwere Kriegsentschädigungen auferlegten (Rorschacher Klosterbruch 1489–90). Die Reformation erlangte unter dem Einfluss des berühmten Humanisten Vadian (Joachim von Walt) 1528 in der Stadt St. Gallen den völligen Sieg; unter Zürichs Schutz traten auch die Gotteshausleute und Toggenburger dazu über und kündigten dem Abte den Gehorsam, der mit den Mönchen entfloh, worauf Zürich und Glarus 1530 das Kloster der Stadt verkauften. Nach der Schlacht von Kappel (1531) wurde jedoch das geistliche Fürstentum wiederhergestellt und die Untertanen zum alten Glauben zurückgebracht; nur den Toggenburgern wurde Religionsfreiheit zugesichert. Die mannigfachen Verletzungen derselben sowie anderer verbriefter Rechte reizten die Toggenburger 1703 zu einem Aufstand, der sich durch die Parteinahme Zürichs und Berns gegen und der katholischen Orte für den Abt 1712 zu dem als Toggenburger oder zweiten Vilmerger Krieg bekannten schweizerischen Religionskampf erweiterte. Die Züricher und Berner besetzten die St. Gallische Landschaft. Im Frieden von Aarau (11. August) mussten die Katholiken ihnen die Ordnung der toggenburgischen Verhältnisse überlassen, worauf der Abt im Vertrag zu Baden 1718 die Verwaltung seiner Lande zurückerhielt, aber unter Anerkennung voller Glaubensfreiheit und bedeutender politischer Rechte der Toggenburger. Nachdem die Gotteshausleute schon 1795 die Aufhebung der Leibeigenschaft und 1797 Anteil am Regiment erzwungen hatten, machte das Einrücken der Franzosen in die Schweiz 1798 der äbtischen Herrschaft selbst ein Ende. Der letzte Fürstabt Pankraz flüchtete mit den meisten Kapitularen nach Deutschland. Die helvetische Verfassung verschmolz die Stadt und das Gebiet des Abtes mit Appenzell und Rheintal zu einem Kanton Säntis. Die Mediationsakte schuf 1803 den heutigen Kanton St. Gallen, indem sie mit der Stadt und dem äbtischen Gebiete die ehemaligen gemeinen Herrschaften Rheinthal, Sargans, Rapperswil, Gaster und Uznach sowie die zürcherische Herrschaft Sax und die glarnersche Werdenberg vereinigte.

1805 hob der Große Rat des Kantons das Kloster in aller Form auf und teilte sein Vermögen in ein „souveränes“ Gut, das zum Staatsvermögen geschlagen wurde, und ein „katholisches“ Gut, das teils zur Dotierung der Stiftskirche, zur Pensionierung der Mönche und zur Errichtung eines katholischen Gymnasiums verwendet, teils als Schatz der „katholischen Religionspartei“ von einem katholischen Administrationsrat verwaltet wurde. 1814 behauptete der junge Kanton seine Existenz gegen die Intrigen des entthronten Fürstabts und gegen die Sondergelüste der einzelnen Landschaften; dagegen wurde für Kirchen-, Ehe- und Schulsachen eine völlige Trennung nach Konfessionen durchgeführt, so dass neben dem allgemeinen Großen Rat ein katholischer und ein evangelischer Rat bestand.

Dorf Pfäfers
Dorf Pfäfers

1830–31 änderte ein „Verfassungsrat“ das oligarchische Gepräge der bisherigen Verfassung in demokratisch-liberalem Sinn und führte das Volksveto ein. 1836 wurde St. Gallen Sitz eines apostolischen Vikars, der 1847 zum Bischof erhoben wurde. Seit 1849 strebten die Liberalen energisch nach Beseitigung des konfessionellen Dualismus; eine liberale Mehrheit im katholischen Administrationsrat ermöglichte 1856 die Verschmelzung der katholischen Kantonsschule mit der höheren Lehranstalt der Stadt in eine gemeinsame Kantonsschule, und 1861 kam nach heftigen Stürmen eine Revision der Verfassung zustande, die das Erziehungswesen ganz dem Staat übergab, dagegen in kirchlichen Dingen den Konfessionen volle Freiheit ließ. Durch eine Partialrevision wurde 1875 das Veto in ein besser organisiertes fakultatives Referendum verwandelt. Von den seit 1861 in Mehrheit befindlichen Liberalen trennte sich allmählich der linke Flügel als besondere demokratische Partei ab, die sich mit den Ultramontanen zu gemeinsamer Opposition gegen jene verband. Die verbündeten Ultramontanen und Demokraten setzten eine am 16. November 1890 vom Volke sanktionierte Verfassungsrevision durch, welche Volkswahl der Regierung, Erleichterung des fakultativen Referendums und Volksinitiative für Gesetze einführte. 1898 beschloss der Große Rat die Errichtung einer Verkehrsschule und einer Handelsakademie.

Bildergalerie

Quellenhinweise:

  • „Ortslexikon der Schweiz“ von Henry Weber, Verlag von M. Kreutzmann, St. Gallen 1887
  • „Meyers Konversations-Lexikon“ in 24 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien 1906
  • „Meyers kleines Konversations-Lexikon“ in 6 Bänden 1908
  • „Meyers Lexikon“ in 12 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig 1924
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