Der Kanton Bern in einer Darstellung um 1900, Geschichte in alten Ansichtskarten und zeitgenössischen Texten.
Hauptort Bern
Kanton Bern
Bern ist der zweitgrößte Kanton der Schweiz, grenzt westlich an die Kantone Waadt, Freiburg und Neuenburg sowie an Frankreich, nordöstlich an das deutsche Reichsland Elsaß-Lothringen (Bezirk Oberelsaß), an Baselland und Solothurn, östlich an Aargau, Luzern, Unterwalden und Uri, südlich an Wallis und umfasst ein Areal von 6884 km² (125 Quadratmeilen). Das Land, quer über fast die ganze Breite der Schweiz ausgedehnt, erstreckt sich von dem Hochgebirge des Berner Oberlandes (Berner Alpen) über den Leberberg oder Berner Jura bis zu den flachen Hügeln des Oberelsaß und umfasst den größten Teil des Aaregebiets.
Rechts und links vom Aaretal treten voralpine Bergländer zur Ebene hinaus: Ober-Emmental und Schwarzenburg, so dass das Flachland sich auf Oberaargau (um Langenthal), das Mittelland (um Bein) und Seeland (um Biel) beschränkt. Aus dem Mittelland, bei Bern, ragen die Hügelmassen des Curten (861 m) und des Bantiger Hubels (949 m) empor. Der Leberberg, abgesehen von dem transjurassischeu Elsgau, besteht aus dem Val St.-Imier, dem Birstal und den Franches Montagnes.
Stadt Bern
Die Stadt Bern ist die Hauptstadt des gleichnamigen Kantons, zugleich Bundeshauptstadt, liegt 545 Meter über dem Meer. Sie ist Knotenpunkt der Eisenbahnen Aarau-Thun, Lausanne-Luzern, Bern-Biel und Bern-Neuchâtel. Bern wird auf drei Seiten von der tief gebetteten Aare umflossen und ist eine der schönsten Schweizer Städte wegen der massiven, stolzen Wohnhäuser, der breiten, geraden Straßen und Wege, der Arkaden oder Bogengänge (Lauben), die an den Häusern zu beiden Seiten der Straße sich hinziehen. Von der Promenade der Großen und Kleinen Schanze, den Terrassen der Bundespaläste, von der Kirchenfeldbrücke und von der Plattform aus, 34 m über der Aare, genießt man eine herrliche Aussicht auf die Alpen.
Unter den Sehenswürdigkeiten steht das dreiteilige, 1851–1901 erbaute Bundeshaus (Parlaments- und Verwaltungsgebäude) im florentinischen Stil obenan. Ihm reihen sich das ehrwürdige (reformierte) Münster im spätgotischen Stil mit 100 m hohem Turm (davor steht das Denkmal Rudolfs von Erlach), das Bürgerspital, das Kunst- und das naturhistorische Museum, das Gesellschaftszwecken dienende Museum, das Gymnasium, das Frauenspital, das jetzt zu Hochschulzwecken dienende Gebäude der nach Könitz verlegten Blindenanstalt, das Verwaltungsgebäude der Jura-Simplon-Bahn, das Rathaus, der Bärengraben mit lebenden Bären und verschiedene vornehme Hotels an. Von Denkmälern verdienen noch Erwähnung das Bertolds V. von Zähringen, das Adrians von Bubenberg und des Bundespräsidenten Stämpfli. Bern ist in neuerer Zeit zu einer erweiterungsfähigen Brückenstadt geworden (Nydeck-, Eisenbahn-, Kirchenfeld- und Kornhausbrücke). Im Jahr 1900 leben hier 65.326 Einwohner, der Großteil sind Protestanten, 6278 sind Katholiken).
Bern hat Baumwoll-, Seiden- und Metallindustrie, große Buchdruckereien, besuchte Wochenmärkte, 21 Banken und ist Stapelplatz für Käse. Die seit 1834 bestehende Universität mit Tierarzneischule hatte 1900 ca. 1000 Studierende. Bern hat ein Gymnasium, Industrie- und Töchterschule, die eidgenössische Zentralbibliothek, die Stadt- und Hochschulbibliothek, die Bibliothek der schweizerischen nationalen Gesellschaft mit zusammen ca. 500.000 Bänden und ist Sitz des altkatholischen Bischofs und der bei der Schweiz beglaubigten Gesandten, ferner eines deutschen Konsuls. Es ist Sitz der verschiedenen internationalen Büros, wie des internationalen Büros der Telegraphenverwaltungen (seit 1. Januar 1869), des Weltpostvereins (15. September 1874), der internationalen Union zum Schutze des gewerblichen und literarischen Eigentums (1. Januar 1888, Urheberrecht) und schlussendlich des Zentralamts für den internationalen Transport (1. Januar 1893). Die städtischen Einnahmen betrugen im Jahr 1901 = 3.055.016 Franken, die Ausgaben 3.364.564 Franken.
Aufnahme in die Schweizer Eidgenossenschaft:
Im Jahr 1353 trat Bern als 8. Kanton der Eidgenossenschaft bei.
Größe:
Angaben 1880: 6889 km²
Bevölkerungsdichte:
78,46 Einwohner/km² (Angaben 1879)
Einwohner:
- 1879: 540.579
- 1880: 531.991
- 1900: 589.433
Gewässer:
Flüsse Aare und Emme, Bielersee, Thunersee und Brienzersee
Sprachen:
Der Muttersprache nach waren 1888:
- 449.668 Deutsche
- 85.319 Franzosen (Jurassier)
- 1243 Italiener
Religionen:
Im Jahr 1900 leben hier 590.914 Einwohner (fast 86/km²), darunter
- 506.837 Protestanten
- 81.162 Katholiken
- 1572 Israeliten
Wirtschaft:
Von der Gesamtbodenfläche sind 78,18% oder 5369 km² produktives Land, wovon 1518 Wald, 3845 Acker, Wiesen und Weiden und 6,3 Rebland. Das unproduktive Land umfasst 1516 km²; hiervon kommen 288,5 km² auf Gletscher. Vornehmlich werden Roggen, Weizen und Hafer angebaut, ferner besonders Kartoffeln; 1899 lieferte die Ernte 815.225 dz Getreide, 4,4 Millionen dz Hackfrüchte, 2800 dz Hanf, 299 dz Tabak, 151.000 dz Obst und 21.966 hl Wein; durchschnittlicher Gesamtertrag der Wiesen ca. 10 Millionen dz Futter. Der Kanton hat viel Rindvieh, von schönstem Schlag (Fleckvieh) besonders im Simmental (Erlenbacher Schlag), im Saanenland, im Frutigen- und Emmental. Das Haslital hat seine eigne Rasse Braunvieh, das dem Unterwaldner am nächsten kommt. 1901 zählte man im Kanton 34.568 Pferde, 293.906 Stück Rindvieh, 137.745 Schweine, 34.393 Schafe, 68.481 Ziegen und 51.174 Bienenstöcke. Der jährliche Milchertrag wird auf 3.550.000 hl, die gesamte Käseproduktion auf 112.000 dz berechnet. Die fetten Emmentaler Käse werden in Langnau aufgestapelt und selbst die ähnlichen Käse der Nachbargebiete angekauft, um von diesem Platze aus in die weite Welt zu wandern. Die Fischzucht wird künstlich gehoben; es bestehen 27 Fischbrutanstalten (besonders für Forellen und Felchen). Der Bergbau liefert Eisenerz (im Jura, jährlich ca. 120.000 Ton.), Sandstein (bei Ostermundigen), Tonschiefer (im Niesen), Ton und Gips. Berühmte Heilquellen sind zu Rosenlaui, Gurnigel, Lenk, Weißenburg und Blumenstein. Am bedeutendsten sind die Uhrenfabrikation (19.000 Arbeiter), die Seidenspinnerei und -Weberei, die Baumwollspinnerei und Buntweberei, die Kunstwollfabrikation, ferner Maschinenfabrikation, Eisengießerei und Zündholzfabrikation. Wichtig ist auch die Holzschnitzerei im Oberland und die Leinenindustrie im Mittelland. Im allgemeinen tritt der Handel gegen die übrigen Erwerbsarten zurück. Eine mächtige Erwerbsquelle bildet der Touristenzug im Oberland. Es bestehen 6 Progymnasien und 4 Gymnasien, 2 technische Fachschulen und eine landwirtschaftliche Schule, ferner 2 Seminare für Lehrer und 3 für Lehrerinnen (davon 3 deutsche und 2 französische). Eine Universität ist in Bern. Das Volksschulwesen, das allgemeine (primäre) und das fakultative (sekundäre), gehört zu den entwickeltsten der Schweiz.
Politische Verwaltung und Einteilung:
Die Verfassung vom 4. Juni 1893 hat das obligatorische Referendum, die Volkswahl der Regierungsstatthalter und Gerichtspräsidenten und die Einheit des alten und neuen Kantonteils in Bezug auf Armen-, Steuerwesen und Zivilrecht eingeführt. Deutsch und Französisch sind als Landessprachen anerkannt. Die höchste Staatsbehörde ist der Große Rat. Oberste Exekutivbehörde ist ein Regierungsrat von neun Mitgliedern. In den 30 Amtsbezirken wird derselbe durch einen Regierungsstatthalter vertreten. Höchste richterliche Behörde ist ein Obergericht, aus höchstens 15 Mitgliedern bestehend. Für Kriminal-, politische und Pressevergehen bestehen Geschworenengerichte. In Kommunalsachen gelten die 507 Gemeinden als autonom. Die Staatsrechnung für 1901 schließt mit einem reinen Vermögen von 58,6 Millionen Franken, das kantonale Budget beträgt ca. 30 Millionen Franken. Das Kantonswappen ist ein roter Schild, worin in einem goldenen Schrägrechtsbalken ein schwarzer Bär emporschreitet.
Städte und Gemeinden:
Der Kanton Bern besteht aus 30 Amtsbezirken: 1815 wurde das Gebiet des ehemaligen Bistum Basel mit dem Kanton Bern vereinigt.
Geschichte der Stadt und des Kantons Bern
Die Zeit der römischen Herrschaft in Helvetien hat im Gebiete des heutigen Kantons Bern nur geringe Spuren hinterlassen. In der Völkerwanderung begegneten sich hier Alemannen und Burgunder, mit deren Unterwerfung das Land unter fränkische Herrschaft kam. Ein Bestandteil des 888 gegründeten neuburgundischen Reiches, fiel es mit diesem 1032 an Deutschland. Die Zähringer, die 1127 von Lothar das „Rektorat“ über Hochburgund erhielten, suchten die widerspenstigen Großen durch Anlegung fester Waffenplätze im Zaume zu halten; so gründete 1191 Berchtold V. die Stadt Bern, die er wohl zum Andenken an die ehedem zu dem zähringischen Titularherzogtum Kärnten gehörige Markgrafschaft Verona (Welsch-Bern) so benannte. Da die Stadt auf Reichsgrund lag, wurde sie, als ihr Gründer 1218 kinderlos starb, eine Reichsstadt; doch scheint die „goldene Handfeste“ vom 15. April des Jahres, angeblich von Kaiser Friedrich II. ausgestellt, erst 1274 zum Zweck der Bestätigung durch Rudolf von Habsburg angefertigt worden zu sein. Ein Sieg, den Bern 1298 über das österreichische Freiburg und den mit ihm verbündeten Adel am Donnerbühl erfocht, begründete seine Macht. Bern zwang die benachbarten Dynasten bis ins Oberland hinauf, Bürger in der Stadt zu werden, was ihr Gebiet indirekt unter die Herrschaft von Bern brachte.
Andere Besitzungen wurden durch Kauf oder Verpfändung erworben, wie Thun (1323), Laupen (1324), die Reichsvogtei über Hasle (1331); auch gewann Bern durch Burgrechtsverträge mit den benachbarten Gotteshäusern (Interlaken 1265, Sumiswald 1317, Buchsee 1329 u. a.) die Schirmherrschaft über deren Besitzungen. 1339 vereinte sich fast der gesamte Adel des schweizerischen Burgund mit Freiburg gegen Bern, wurde aber von diesem mit Hilfe der Waldstätte, mit denen es 1323 ein Bündnis geschlossen, bei Laupen am 21. Juni gründlich geschlagen. Am 6. März 1353 wandelte Bern sein Verhältnis zu den Waldstätten in einen ewigen Bund um. Nachdem es hierauf eine Menge neuer Herrschaften kaufweise oder mit dem Schwert erworben (z. B. Aarberg 1377, Burgdorf 1381, Nidau und Büren 1388, Frutigen 1400, die Landgrafschaft Burgund 1406, Bipp 1413), eroberte es 1415 im Reichskrieg gegen Österreich den größten Teil des Aargaus. Während der Burgunderkriege übernahm es die Führung der Eidgenossenschaft und fasste durch die mit Freiburg gemeinsam unternommene Eroberung von Murten, Granson, Orbe und Echallens 1475 festen Fuß in der Waadt, die es 1536 Savoyen für immer entriss, während es die gleichzeitig eroberten Vogteien Gex und Thonon 1564 im Vertrag von Lausanne zurückgeben musste. Seitdem beherrschte Bern ein Gebiet von 13.000 km², d. h. ein Drittel der Schweiz.
Die Reformation fand hier in dem Pfarrer Bertold Haller und dem Dichter und Maler Niklaus Manuel eifrige Anhänger und durch Zwinglis Disputation im Januar 1528 wurde Berns Übertritt entschieden. Von da an stand es mit Zürich an der Spitze der protestantischen Schweiz und nahm teil an den Religionskriegen von 1531, 1656 und 1712. In diese Zeit fällt die Ausbildung der Berner Aristokratie. Die Stadt beherrschte das von ihr erworbene Gebiet als Untertanenland und 1643 erfolgte ein Beschluss, wonach nur die bisher verbürgerten Familien für „regimentsfähig“ erklärt wurden. Alle später aufgenommenen bildeten die niedrigere Klasse der „ewigen Habitanten“, die jedoch wieder vor den bloßen „Ansässen“ durch die Erlaubnis, Handel zu treiben und Häuser zu besitzen, bevorzugt waren. Gleichzeitig kam auch der im 15. und 16. Jahrhundert beobachtete Brauch, bei Kriegszügen, Bündnissen und anderen wichtigen Staatsangelegenheiten die Ansicht des Landvolkes einzuholen, zum erliegen; die letzte Volksanfrage fand 1610 statt. Aus der Zahl der regimentsfähigen Geschlechter, die seit 1651 amtlich Patrizier genannt wurden, sonderte sich wieder ein stets enger werdender Kreis von Familien aus, die wirklich „regierend“ waren, d. h. die durch gegenseitige Konnivenz sich im ausschließlichen Besitz der höheren Staatsämter behaupteten.
Schon im Mittelalter hatte trotz demokratischer Verfassungsformen der Adel vermöge seiner Tüchtigkeit im Feld und im Rat und des Einflusses, den ihm sein Reichtum gewährte, tatsächlich regiert. Die Gemeinde hatte alle Einwirkung auf die Wahlen verloren, die Behörden bestätigten oder ergänzten sich gegenseitig und die Ämter wurden lebenslänglich, indem die jährlichen Wahlen sich in bloße Bestätigungsformalien verwandelten. Im 18. Jahrhundert bestand der (Kleine) Rat aus 2 Schultheißen, die jährlich miteinander abwechselten, 2 Säckelmeistern, 4 Vennern, 17 Ratsherren und 2 Heimlichern und wurde jährlich vom Kleinen und Großen Rat bestätigt oder aus dessen Mitgliedern ergänzt. Der Große Rat aber wurde von Zeit zu Zeit durch den Kleinen Rat und die aus seiner eignen Mitte genommenen Sechzehner bis auf die Zahl von 299 ergänzt, wobei jedem Mitgliede der beiden Wahlbehörden einen oder zwei als verbindlich betrachtete Vorschläge zu machen gestattet war, d. h. seinen Sohn, Schwiegersohn oder sonstigen Anverwandten zu ernennen. Der Erfolg dieser „Nominationen“ galt als so selbstverständlich, dass man die Hand einer „Barettlitochter“, d. h. der Tochter eines Wahlherrn, einer Aussteuer von 30.000 Bernpfunden gleichachtete. Den Patriziern boten die 60 Landvogteien, die auf je sechs Jahre an Mitglieder des Großen Rates vergeben wurden, eine reiche Einnahmequelle. Jedes Verlangen nach einer Änderung der bestehenden Ordnung wurde als Aufruhr behandelt und Umsturzversuche mit Härte bestraft, so 1749 die Verschwörung Hentzis. Anderseits zeichnete sich die bernische Regierung aus durch ihre sorgfältige, das materielle Wohl der Untertanen fördernde Verwaltung, so dass Männer wie Haller, Rousseau, Napoleon, Joh. v. Müller in B. das Muster eines weise verwalteten Staates erblickten. Der durch die französische Revolution erwachte demokratische Geist vertrug sich nicht mehr damit.
Das nach dem bernischen Staatsschatz lüsterne französische Direktorium bot den unzufriedenen Waadtländern die Hand und als Bern trotz heldenmütigen Widerstandes bei Neueneck, Laupen und im Grauholz am 5. März 1798 der französischen Übermacht erlag, stürzte die Aristokratie zusammen. Durch die helvetische Verfassung wurden Waadt, Aargau und Oberland als besondere Kantone von Bern getrennt. 1799–1803 war Bern Sitz der helvetischen Behörden. 1802 wurden Oberland und Bern wieder vereinigt, dagegen hielt die Mediationsakte 1803 die Selbständigkeit der Waadt und des Aargaus aufrecht. Am 22. Dezember 1813 legte die Mediationsregierung in Bern ihre Gewalt in die Hände des patrizischen Rates von 1798 nieder, der sofort seine Souveränität auch über Waadt und Aargau geltend zu machen suchte. Allein diese Ansprüche scheiterten an dem entschiedenen Widerstand jener Kantone und an der Einsicht der Mächte. Dagegen erhielt Bern vom Wiener Kongress als Entschädigung den größten Teil des ehemaligen Fürstbistums Basel (Berner Jura). Im Innern wurde die alte Verfassung hergestellt mit der Erleichterung, dass das Bürgerrecht der Stadt geöffnet und dem Rate der Zweihundert 99 Vertreter der Landschaft hinzugefügt wurden (21. September 1815). Die Julirevolution gab auch in Bern den Anstoß zur demokratischen Umgestaltung.
Auf das stürmische Verlangen einer am 10. Januar 1831 zu Münsingen abgehaltenen Volksversammlung berief der Große Rat einen Verfassungsrat, der nach der Volkszahl von Wahlmännern gewählt wurde. Die neue, am 31. Juli angenommene Verfassung hob die Vorrechte der Stadt auf und setzte proportionale Vertretung im Großen Rat fest. Die gestürzten Patrizier trugen sich eine Zeitlang mit gewaltsamen Umsturzplänen, deren Entdeckung (August 1832) einen großen Prozess herbeiführte, der ihren Einfluss vollkommen brach. 1834 wurde die Hochschule gegründet. Allmählich trat gegen die von Schultheiß Neuhaus geleitete liberale Regierung unter dem Einfluss des an der Hochschule wirkenden deutschen Flüchtlings Wilhelm Snell eine radikale Opposition auf, die 1846 eine Revision des Grundgesetzes bewirkte. Die am 31. Juli angenommene neue Verfassung beseitigte das indirekte Wahlsystem und in die Regierung gelangten nun die Führer der Radikalen, der Freischarenführer Ochsenbein und Stämpfli, W. Snells Schwiegersohn. Am 28. November 1848 wurde Bern zur Bundeshauptstadt erhoben. Mittlerweile hatte sich den Radikalen gegenüber eine große konservative Partei gebildet, die bei den Wahlen im Mai 1850 die Oberhand gewann. Die reaktionären Schritte der Konservativen (Entfernung freisinniger Lehrer, Erlass eines strengen Pressegesetzes) bewirkten jedoch, dass schon 1854 Radikale und Konservative sich bei den Großratswahlen wieder die Wage hielten und in der Folge die ersteren wieder Regierungspartei wurden. Durch ein vom Volk am 4. Juli 1869 angenommenes Ausführungsgesetz zur Verfassung wurde das obligatorische Referendum über Gesetze, größere Ausgaben und das vierjährige Budget eingeführt.
Der Kanton Bern wurde von den kirchlichen Kämpfen, die 1872 in der Schweiz ausbrachen, besonders berührt. Als die Regierung den katholischen Geistlichen des Kantons jeden Verkehr mit dem seines Amtes entsetzten Bischof Lachat untersagte, kündigten ihr 97 Geistliche aus dem Jura den Gehorsam, worauf sie, soweit sie Pfarrstellen bekleideten, gerichtlich abgesetzt wurden (September 1873). Zugleich regelte ein Kirchengesetz, das am 18. Januar 1874 vom Volke mit 70.000 gegen 17.000 Stimmen angenommen wurde, die Beziehungen zwischen Staat und Kirche unter scharfer Betonung der Staatshoheit und überwies die Pfarrwahlen den Gemeinden. Da nur die Altkatholiken sich den Bestimmungen dieses Gesetzes unterwarfen, so gingen zunächst alle landeskirchlichen Privilegien an sie über, während sich die Römisch-Katholischen in die Stellung eines Privatvereins gedrängt sahen. An der Universität Bern wurde im Juli des Jahres eine altkatholisch-theologische Fakultät errichtet. Die Unruhen im Jura wurden militärisch unterdrückt und die abgesetzten Geistlichen ihrer Agitation wegen ausgewiesen; doch musste das Ausweisungsdekret gemäß einem Entscheide der Bundesbehörden als verfassungswidrig zurückgenommen werden. Finanzielle Schwierigkeiten, die hauptsächlich von der starken Beteiligung des Staates an Eisenbahnunternehmungen herrührten, untergruben jedoch das Ansehen der leitenden Persönlichkeiten, so dass das Volk dem vierjährigen Budget 1877 seine Genehmigung versagte.
Bei den Neuwahlen 1878 behielt zwar die radikale Partei die Oberhand, die Regierung aber wurde fast völlig neu bestellt. Zugleich traten auch die kirchlichen Angelegenheiten in eine neue Phase, indem die Römisch-Katholischen sich nach dem Tode Pius‘ IX. dem Kultusgesetz unterwarfen, wogegen der Große Rat die abgesetzten Geistlichen für wieder wählbar erklärte. Im März 1879 beteiligten sich die Ultramontanen bei den Erneuerungswahlen der Geistlichen und siegten in den meisten Gemeinden; doch sicherte die Regierung den altkatholischen Minderheiten die Mitbenutzung der Kirchen. Zur Ordnung der Finanzen erließ der Große Rat ein Gesetz zur Vereinfachung des Staatshaushaltes, das am 2. Mai 1880 die Genehmigung des Volkes erhielt, obschon es ihm das Recht der Budgetbewilligung entzog. Eine von der (konservativen) Volkspartei angeregte, aber von den Radikalen durchgeführte erste Revision der Verfassung von 1846 scheiterte 1885 an der Verwerfung des Entwurfs durch das Volk. Dagegen genehmigte dieses einen vom Großen Rat ausgearbeiteten zweiten Entwurf am 4. Juni 1893 mit 56.424 gegen 15.565 Stimmen. Durch die neue Verfassung wurde zum Referendum die Volksinitiative für Gesetze, die Volkswahl der Regierungsstatthalter und Gerichtspräsidenten, die Verpflichtung zur Berücksichtigung der Minderheit in der Regierung sowie die Einheit des alten und neuen Kantonteils in Bezug auf Armen-, Steuer- und Zivilgesetzgebung eingeführt und die ausdrückliche Anerkennung der christlich-katholischen Kirche als einer der drei Landeskirchen ausgesprochen. In der Volksabstimmung von 1974 beschlossen die Jurassier die Schaffung eines eigenen Kantons Jura.
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Quellenhinweise:
- „Ortslexikon der Schweiz“ von Henry Weber, Verlag von M. Kreutzmann, St. Gallen 1887
- „Meyers Konversations-Lexikon“ in 24 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien 1906
- „Meyers kleines Konversations-Lexikon“ in 6 Bänden 1908
- „Meyers Lexikon“ in 12 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig 1924
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