Wiesbaden im Königreich Preußen, Stadtgeschichte in alten Ansichtskarten und zeitgenössischen Texten.
Bis 1866 Haupt- und Residenzstadt des Herzogtums Nassau
Wiesbaden 100.955 Einwohner – 1905 = 41. Platz der größten Städte des Deutschen Reichs.
Wiesbaden im Königreich Preußen
Wiesbaden ist eine Stadt im Königreich Preußen, Provinz Hessen-Nassau und Hauptstadt des gleichnamigen Regierungsbezirks und Stadtkreis, bis 1866 Haupt- und Residenzstadt des Herzogtums Nassau.
Die Stadt Wiesbaden liegt in schöner, durch mildes Klima ausgezeichneter Gegend, am Südfuß des Taunus, 5 km vom Rhein entfernt und 116 Meter über dem Meer. Wiesbaden ist in ihren neueren Teilen regelmäßig gebaut und besitzt eine große Anzahl prächtiger Gebäude.
Von den zu gottesdienstlichen Zwecken bestimmten Bauwerken in der Stadt (3 evangelische und 2 katholische Kirchen und 2 Synagogen) sind bemerkenswert die neue evangelische Kirche (im romanischgotischen Stil, 1853–62 von Boos erbaut), mit drei Schiffen, schönen Altargemälden und Statuen von Hopfgarten, trefflicher Orgel und Glockenspiel;
die neue Bergkirche (1877–79 nach Plänen des Baumeisters Otzen unter Leitung Grisebachs errichtet); die neue evangelische Ringkirche (1892–94 von Otzen erbaut); die katholische Bonifatiuskirche (1844–49 von Hoffmann im romanisch-gotischen Stil erbaut); die katholische Mariahilfkirche (1893–95 vom Dombaumeister Meckel errichtet); die englische Kirche (1865); die neue altkatholische Kirche (1900 erbaut); die Synagoge auf dem sogenannte Michelsberg, ein maurischer Kuppelbau (1869).
Von anderen Gebäuden Wiesbadens sind zu nennen das königliche, früher herzogliche Schloss (1837–40 erbaut); das neue Rathaus (1884–88 nach Plänen Hauberrissers im deutschen Renaissancestil ausgeführt); das Museum mit Gemäldegalerie; das Altertumsmuseum; das Naturalienkabinett und die Landesbibliothek (mit über 150.000 Bänden); das Palais Pauline (1842 im Stil der Alhambra erbaut, jetzt Stadtbesitz); das im florentinischen Stil erbaute Regierungsgebäude; das neue, prachtvolle, 1892–94 von Fellner und Helmer erbaute Hoftheater; das neue Justizgebäude (1894–97); das Staatsarchiv; das Landeshaus (1905–07) etc.
Ferner sind zu nennen das neue, prächtige Kurhaus mit einem von sechs ionischen Säulen getragenen Portikus und prachtvollen Sälen (1904 bis 1907 von Professor von Thiersch-München erbaut), dahinter die bis zur Wasserheilanstalt Dietenmühle und zur Burgruine Sonnenberg sich erstreckenden Kuranlagen, mit großem Teich und einer 36 m hohen Fontäne sowie mit den Denkmälern des Kurdirektors Heyl (1907) und Gustav Freytags (1905).
Vor dem Kurhaus liegt der auf beiden Seiten von Kolonnaden flankierte Blumengarten mit zwei Teichen und der von Prachthotels eingefasste Kaiser Friedrich-Platz mit dem Denkmal des Kaisers Friedrich (1897, modelliert von Uphues), seitlich, neben der Alten Kolonnade, das Denkmal des Dichters Bodenstedt, an der Hauptquelle, dem Kochbrunnen, die große Trinkhalle, in der Nähe derselben, auf dem Kranzplatz, eine schöne Hygieiagruppe.
Seitlich der Wilhelmstraße die Anlagen des sogenannten Warmen Dammes mit dem Denkmal Kaiser Wilhelms I. (1894, modelliert von Schilling) und dem Schillerdenkmal (1905, modelliert von Uphues), nahebei das Denkmal Bismarcks (1898, modelliert von Herter). Auf dem Luisenplatz das Waterloodenkmal (1865), ein Obelisk, zum Andenken an die in der Schlacht bei Waterloo gefallenen Nassauer.
Sehenswert ist auch die alte römische, sogenannte Heidenmauer mit dem Römertor. Unmittelbar nördlich der Stadt Wiesbaden erhebt sich der an seiner Südseite mit Weinbergen bedeckte, sonst bewaldete Neroberg mit Anlagen, Restaurationsgebäude und Aussichtsturm, wohin eine Drahtseilbahn führt. Am Abhang des Berges steht die russisch-orthodoxe Kapelle (1855) mit dem Grab und schönen Sarkophag der 1845 verstorbenen Herzogin Elisabeth.
Vor dem Neroberge zieht sich das Nerotal hin, im vorderen Teile mit Anlagen, in denen das Kriegerdenkmal steht. Auch das nordwestlich gelegene Dambachtal ist mit Anlagen versehen, in denen das Freseniusdenkmal (1904) Ausstellung gefunden hat. Im Jahr 1905 leben in Wiesbaden mit der Garnison (2 Bataillone Infanterie Nr. 80 und eine Abteilung Feldartillerie Nr. 27) 100.953 Einwohner, die überwiegende Mehrheit sind Evangelische, 32.801 sind Katholiken und 2656 Juden.
Die Bedeutung von Wiesbaden beruht auf den dortigen Mineralquellen, die 1907 von 180.000 Kurgästen besucht wurden. Die hier entspringenden Thermalquellen wurden schon von den Römern benutzt, doch erwarb sich Wiesbaden als Kurort erst seit dem 16. Jahrhundert einen Ruf, der seitdem immer zugenommen hat, besonders auch, nachdem es wegen seines milden Klimas als Winteraufenthalt und behufs der Abhaltung von Winterkuren so besucht wird, dass die Frequenz der Wintersaison derjenigen der Sommersaison kaum nachsteht.
Die zahlreichen Quellen, die an Gehalt nur wenig und nur an Temperatur (40–69°) verschieden sind, gehören zu den alkalischen Kochsalzthermen; man zählt ihrer im ganzen 23, von denen die bedeutendste, der Kochbrunnen (69°), ferner die Schützenhofquelle (50°) und der Adlerbrunnen (64°) offen zutage treten. Sämtliche Quellen geben zusammen 1,4 cbm Wasser in der Minute. Der Kochbrunnen allein wirft täglich 45,5 dz Kochsalz aus. Außer den Thermalquellen besitzt Wiesbaden im Nordwesten der Stadt noch drei ärztlich nicht benutzte Mineralquellen von 9,4–20°.
Die Thermen von Wiesbaden werden zum Baden (auch in Form von Duschen und Dampfbädern) wie zur Trinkkur benutzt und haben sich als treffliches Heilmittel bewährt bei Katarrhen des Magens und des Verdauungskanals, ferner bei Rheumatismen, bei Hämorrhoiden, bei Gicht (jedoch erst nach dem Verschwinden aller Entzündungssymptome), endlich bei verschiedenen Hautkrankheiten, Sexualleiden, alten Geschwüren und Neuralgien.
In Wiesbaden befinden sich auch mehrere gymnastische und elektrotherapeutische Heilanstalten, ein großes Sanatorium (Augusta Viktoria-Bad), berühmte Augenheilanstalten, 2 Wasserheilanstalten (Nerotal und Dietenmühle), eine Militärheilanstalt (Wilhelmsheilanstalt) etc. Ebenso wird Wiesbaden behufs der Trauben- und Milchkur stark besucht. Die Industrie ist wenig bedeutend. Der Handel, nur bedeutend in Wein, für den die Stadt weltberühmte Großhandlungen besitzt, wird unterstützt durch eine Handelskammer und eine Reichsbankstelle (Umsatz 1906: 801,8 Millionen Mark.), durch die Nassauische Landesbank und andere Bankinstitute.
Dem Verkehr in der Stadt Wiesbaden dient eine elektrische Straßenbahn. Für den Eisenbahnverkehr ist die Stadt mit dem neuen Hauptbahnhof (1904–06 erbaut) Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Kurve-Wiesbaden, Wiesbaden-Biebrich, Wiesbaden-Dotzheim, Wiesbaden-Erbenheim und Wiesbaden-Niedernhausen sowie der Kleinbahnen Wiesbaden-Sonnenberg, Wiesbaden-Biebrich, Wiesbaden-Mainz, Wiesbaden-Dotzheim und Wiesbaden-Schierstein.
An Bildungs- und anderen ähnlichen Anstalten befinden sich in Wiesbaden ein chemisches Laboratorium (Freseniussche akademische Anstalt) mit agrikulturchemischer Versuchsstation, ein königliches Gymnasium, ein königliches Realgymnasium, ein städtisches Reformrealgymnasium, eine städtische Oberrealschule, 2 Musikkonservatorien, eine Gewerbeschule, eine Landwirtschaftsschule (zu Hof Geisberg), eine Blindenanstalt, eine Rettungsanstalt, mehrere Waisenhäuser und zahlreiche andere Wohltätigkeitsanstalten.
Die Stadt Wiesbaden ist Sitz einer königlichen Regierung, eines Konsistoriums, eines königlichen Polizeipräsidiums, der Landesdirektion für den Regierungsbezirk Wiesbaden, eines Landratsamts (für den Landkreis Wiesbaden), eines Landgerichts, einer Forstinspektion, eines Bergreviers und eines Steueramts, verschiedener Eisenbahnamtsstellen etc. Die städtischen Behörden zählen 16 Magistratsmitglieder und 48 Stadtverordnete.
In der Umgegend sind zu nennen: die Ruine Sonnenberg, teilweise restauriert, mit Restauration und hübschen Spaziergängen; das ehemalige Kloster Klarenthal, jetzt Domanialpachthof mit Restauration; weiterhin der Schläferskopf (455 m) und die Hohe Wurzel (618 m), Berge des Taunus, beide mit Turm und prächtiger Aussicht; ferner die Platte (500 m), Jagdschloß auf der Höhe des Taunus, mit Jagdtrophäen, Hirschgeweihen, Wandgemälden und prachtvoller Aussicht. Zum Landgerichtsbezirk Wiesbaden gehören die 16 Amtsgerichte zu Braubach, Eltville, Hochheim a. M., Höchst a. M., Idstein, Kamberg, Katzenelnbogen, Königstein i. T., Langenschwalbach, Nastätten, Niederlahnstein, Rüdesheim, St. Goarshausen, Usingen, Wehen und Wiesbaden.
Wiesbaden ist aus einem Kastell entstanden, das die Römer um 11 v. Chr. am Kreuzungspunkt von drei Heerstraßen anlegten. Der heilkräftigen Quellen halber erwuchs bald eine Ansiedelung, die nach der Völkerschaft der Mattiaker Aquae Mattiacae hieß. Reste des Kastells wurden 1838 auf der Höhe des Heidenbergs und der Röderstraße freigelegt.
Seit dem 11. Jahrhundert dem Geschlechte der Grafen von Nassau gehörig, fiel Wiesbaden 1255 an die Walramsche Linie, kam 1355 an den alten Idsteiner, 1605 an den Saarbrücker Zweig und 1659 an die Linie Nassau-Usingen. 1744 wurde der Sitz der Regierung von Usingen hierher verlegt, und 1815 wurde Wiesbaden die Hauptstadt des Herzogtums Nassau.
Der Regierungsbezirk Wiesbaden zählte 1905 auf 5618 km² (102,03 Quadratmeilen) 1.114.819 Einwohner (198/km²), davon 646.244 Evangelische, 426.544 Katholiken und 32.521 Juden und umfasst die 18 Kreise: Stadtkreis Frankfurt am Main, Stadtkreis Wiesbaden und die Landkreise Biedenkopf, Dillkreis, Frankfurt am Main, Höchst, Limburg, Oberlahnkreis, Obertaunuskreis, Oberwesterwaldkreis, Rheingaukreis, Sankt Goarshausen, Unterlahnkreis, Untertaunuskreis, Unterwesterwaldkreis, Usingen, Westerburg, Wiesbaden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) gründete der US-General Dwight D. Eisenhower durch die Organisationsverfügung Nr. 1 der Militärregierung (12. 10.1945) das Land Groß-Hessen mit Wiesbaden als Hauptstadt.
Wiesbaden ist heute die Landeshauptstadt des Landes Hessen mit rund 280.000 Einwohnern (2021).
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Quellenhinweise:
- Prof. A. L. Hickmann’s Geographisch-statistischer Taschen-Atlas des Deutsches Reichs, Leipzig und Wien 1897
- „F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas“, Verlag von Velhagen & Klasing, 1902
- „Harms Vaterländische Erdkunde“, 1906
- „Post-Taschen-Atlas von Deutschland nebst Ortsverzeichnis“, Th. Pfuhl, Berlin, 1906
- „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 20 Bänden, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1905-1911
- „Petzolds Gemeinde- und Ortslexikon des Deutschen Reiches“, Band 1 und 2, Bischofswerda (Sachsen), 1911
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