Hildesheim im Königreich Preußen, Stadtgeschichte in alten Ansichtskarten und zeitgenössischen Texten.
Hildesheim 47.060 Einwohner – 1905 = 87. Platz der größten Städte des Deutschen Reichs.
Hildesheim im Königreich Preußen
Hildesheim (neulat. Hildesia) ist Hauptstadt des gleichnamigen Regierungsbezirks im Königreich Preußen, Provinz Hannover und Stadtkreis, liegt an der Innerste und 89 Meter über dem Meer.
Hildesheim besteht aus der Altstadt und Neustadt, die seit 1583 zu einem Gemeinwesen vereinigt sind und der sogenannten Freiheit (Residenz des Bischofs). Der uralte Ort enthält im Innern noch viele enge und winklige Straßen, besetzt mit altertümlichen Häusern, deren obere Stockwerke überragen und mit Erkern und reichem Schnitzwerk versehen sind.
Im Jahr 1900 leben hier mit der Garnison (ein Infanterieregiment Nr. 79) 42.973 Einwohner, die überwiegende Mehrheit sind Evangelische, 14.236 sind Katholiken und 617 Juden.
Hildesheim ist Sitz der königlichen Regierung für den Regierungsbezirk Hildesheim, der Landratsämter für den Landkreis Hildesheim und den Kreis Marienburg in Hannover, eines Landgerichts, Hauptsteueramts, einer Spezialkommission, eines Generalsuperintendenten, eines Bischofs, Domkapitels und Generalvikariats. Die städtischen Behörden in Hildesheim zählen 8 Magistratsmitglieder und 18 Stadtverordnete. Zum Landgerichtsbezirk Hildesheim gehören die elf Amtsgerichte zu Alfeld, Bockenem, Burgdorf, Elze, Fallersleben, Gifhorn, Goslar, Hildesheim, Liebenburg, Meinersen und Peine.
Unter den zu gottesdienstlichen Zwecken bestimmten Gebäuden (4 evangelische und 5 katholische Kirchen und eine Synagoge) behauptet der katholische Dom, ein 62 Meter langes, 30 Meter breites Gebäude, die erste Stelle. Der Grundbau stammt aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhundert, hat aber später manche Veränderung erfahren. Neuerdings sind die Innenwände restauriert und farbig ausgemalt worden.
Besonderes Interesse gewähren die aus dem frühesten Mittelalter stammenden Kirchengeräte (Domschatz), die ehernen Torflügel (von 1015) mit Reliefs vom Bischof Bernward aus der Geschichte der ersten Menschen und Jesu Christi, ein ehernes Taufbecken aus dem 13. Jahrhundert, zwei romanische Reliquienkasten des heiligen Godehard und des heiligen Epiphanius und zwei große Kronleuchter aus dem 11. Jahrhundert.
Die etwas unansehnlichen Türme tragen ein herrliches Geläute. Vor dem Ausgang zum Chor steht die sogenannte Irmensäule, und an der Außenwand der Grabkapelle breitet der berühmte tausendjährige Rosenstock, 8 Meter hoch und 10 Meter weit, seine Zweige aus; den inneren Friedhof umgibt ein romanischer Kreuzgang. In einem Seitenraum (früher auf dem Domhof) erhebt sich die 4 m hohe Christussäule (von 1022) aus Erzguß, auf der die Geschichte Christi dargestellt ist. Auf dem Domhof befindet sich das Standbild des Bischofs Bernward, von Hartzer.
Von den übrigen Kirchen Hildesheims verdienen Erwähnung die St. Godehardikirche (1133–72 erbaut, 1863 restauriert), ein Meisterwerk romanischen Stiles mit drei pyramidenförmigen Türmen; dann die Michaeliskirche, eine großartige romanische Basilika mit einer kürzlich hergestellten, das Grab des Bischofs Bernward enthaltenden Unterkirche und einer kunstvoll bemalten Holzdecke aus dem 12. Jahrhundert; die Magdalenenkirche mit zwei kostbaren Leuchtern aus Bernwards Werkstatt und dem sogen. Bernwardskreuz; die Martinikirche, die das städtische Museum enthält; die Andreaskirche, die Hauptkirche der Evangelischen, ist mit einem 118 Meter hohen Turm versehen.
Andere ausgezeichnete Gebäude Hildesheims sind: das alte angebliche Tempelherrenhaus, das Rathaus (um 1440 erbaut), mit einer Halle, die durch Hermann Prell mit Freskomalereien aus der Geschichte Hildesheims geziert ist, davor ein schöner Springbrunnen, das frühere Trinitatishospitalgebäude, das Michaeliskloster (jetzt als Irrenanstalt benutzt), die alte Kartause, das Knochenhaueramthaus von 1529, überaus reich an plastischem Schmuck, das Wedekindsche Haus von 1598, das Rolandhospital von 1611, das Kaiserhaus von 1586, der Wiener Hof von 1609, die Neustädter Schenke von 1550 und viele andre reich geschmückte Fachwerkhäuser.
Außer dem Bernwarddenkmal hat die Stadt noch ein Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. (modelliert von Professor Lessing) und ein Denkmal des Senators Römer. Hildesheim hat eine Zuckerraffinerie, Gummiwarenfabrik, Eisengießereien, bedeutende Konservenfabrik, Mühlsteinfabrikation und Steinhauerei, Fabrikation von Ofen, Kochherden, Maschinen, Wagen, Turmuhren, Hohlglas, Wasserglas, Tapeten, Malz, Schokolade, Tabak, Zigarren etc., Glockengießerei, Lohgerberei, Bierbrauerei und zwei Kunstmühlen. Ein Elektrizitätswerk ist in Hildesheim um 1900 im Bau.
Der Handel in Hildesheim, unterstützt durch eine Handelskammer, eine Produktenbörse sowie durch eine Nebenstelle der Reichsbank etc., befasst sich außer den dort gewonnenen Fabrikaten vorzugsweise mit Zucker, Getreide, künstlichen Dungmitteln und anderen Erzeugnissen und Bedürfnissen der Landwirtschaft. Den Verkehr in der Stadt vermittelt eine elektrische Bahn. Für den Eisenbahnverkehr ist die Stadt Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Braunschweig-Löhne und Lehrte-Grauhof sowie der Hildesheim-Peiner Kreisbahn.
An Bildungs- und sonstigen Anstalten befinden sich in Hildesheim ein evangelisches und ein katholisches Gymnasium, ein Realgymnasium, eine landwirtschaftliche Versuchsstation, eine Landwirtschaftsschule mit Ackerbauschule, katholisches Schullehrerseminar, katholisches Priesterseminar, Baugewerk-, Handwerker- und Handelsschule, ein städtisches Museum (Römermuseum) mit wertvollen Sammlungen, das Andreasmuseum, besonders für Architektur, Konservatorium für Musik, Taubstummenanstalt,
Irrenanstalt, 2 Waisenhäuser, Rettungshaus, 3 Damenstifter, ein Kloster der Barmherzigen Schwestern etc. Im Westen von Hildesheim liegt auf einer Anhöhe das ehemalige Kollegiatstift St. Moritz (um 1054 gegründet, 1810 aufgehoben); im Osten lag das Stift St. Bartholomäus zur Sülte (1147 errichtet, 1802 aufgehoben); im Süden liegen das Gut Söder, mit einem Schloss, sowie Ottbergen, ein Wallfahrtsort. Hildesheim entwickelte sich erst mit der Verlegung des Bistums von Elze hierher.
Bischof Bernward († 1022) ummauerte die Stadt. Handel und Gewerbe entwickelten sich, besonders waren die Hildesheimer Goldschmiedearbeiten bis zum Ende des Mittelalters hochberühmt. Daneben wurden Künste und Wissenschaften gepflegt und zahlreiche Fürstensöhne (darunter die Kaiser Otto III. und Heinrich II.) sind auf der Domschule von Hildesheim erzogen worden.
1249 erhielt Hildesheim vom Bischof eine schriftliche Auszeichnung des Stadtrechts und trat später der Hanse bei. Hildesheim lag, zuweilen von den Welfen unterstützt, mit seinen Bischöfen häufig in Fehde und schloss seit dem 14. Jahrhundert wiederholt Schutzbündnisse mit dem Haus Braunschweig-Lüneburg. Die Hildesheimer Stiftsfehde brachte mit dem Stift auch die Stadt in die Acht, doch schlug sie 1522 den Angriff der Herzöge von Braunschweig ab.
1542 wurde die Reformation eingeführt. Am 10. Oktober 1632 wurde Hildesheim von den Kaiserlichen unter Pappenheim eingenommen, doch erhielt durch die Kapitulation vom Juli 1634 die protestantische Partei wieder die Oberhand. 1802 kam die Stadt an Preußen, 1807 an Westfalen, 1813 an Hannover und 1866, nach dem Deutschen Krieg, mit dem Königreich Hannover abermals an Preußen.
Der Regierungsbezirk Hildesheim ist 5352 km² (97,20 Quadratmeilen) groß, hat im Jahr 1900 = 526.758 Einwohner (98/km²), davon 437.299 Evangelische, 85.657 Katholiken sowie 2697 Juden und besteht aus den 17 Kreisen: Göttingen (Stadt), Hildesheim (Stadt), Alfeld, Duderstadt, Einbeck, Goslar, Göttingen (Land), Gronau, Hildesheim (Land), Ilfeld, Marienburg, Münden, Northeim, Osterode am Harz, Peine, Uslar und Zellerfeld.
Hildesheim ist heute eine Großstadt in Niedersachsen mit rund 100.000 Einwohnern (2020).
Bildergalerie
Quellenhinweise:
- Prof. A. L. Hickmann’s Geographisch-statistischer Taschen-Atlas des Deutsches Reichs, Leipzig und Wien 1897
- „F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas“, Verlag von Velhagen & Klasing, 1902
- „Harms Vaterländische Erdkunde“, 1906
- „Post-Taschen-Atlas von Deutschland nebst Ortsverzeichnis“, Th. Pfuhl, Berlin, 1906
- „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 20 Bänden, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1905-1911
- „Petzolds Gemeinde- und Ortslexikon des Deutschen Reiches“, Band 1 und 2, Bischofswerda (Sachsen), 1911
Ähnliche Beiträge