Speyer im Königreich Bayern (Pfalz), Stadtgeschichte in alten Ansichtskarten und zeitgenössischen Texten.
Speyer 21.857 Einwohner – 1905 = 201. Platz der größten Städte des Deutschen Reichs.
Speyer im Königreich Bayern (Pfalz)
Speyer (Speier) ist die Hauptstadt des Regierungsbezirks Pfalz, Königreich Bayern, ehemals freie Reichsstadt, an der Mündung des Speyerbachs in den Rhein.
Speyer ist Knotenpunkt der pfälzischen Eisenbahnlinien Schifferstadt-Germersheim, Speyer-Heidelberg und Speyer-Geinsheim, 103 Meter über dem Meer und hat trotz ihres hohen Alters nur wenige altertümliche Gebäude. Speyer hat 3 evangelische und 3 katholische Kirchen und eine Synagoge. Der katholische Dom wurde 1030 von Kaiser Konrad II. begonnen, 1061 unter Heinrich IV., der 1064 die Afrakapelle hinzufügte, vollendet. Er ist im Rundbogenstil ausgeführt, hat eine Länge von 147 Meter, im Querschiff eine Breite von 60 Meter und hat 4 Türme.
Das über dem Schiff sich erhebende Königschor enthält die Grabmäler von acht deutschen Kaisern (Konrad II., Heinrich III., Heinrich IV. und Heinrich V., Philipp von Schwaben, Rudolf von Habsburg, Adolf von Nassau und Albrecht I.) und das der Beatrix, der zweiten Gemahlin Friedrichs I., sowie ihrer Tochter Agnes. Das Innere schmücken 32 Fresken (1845–1854 von Schraudolph ausgeführt). In der Vorhalle (Kaiserhalle) sind seit 1858 die acht großen Standbilder der hier begrabenen Kaiser (meist von Fernkorn ausgeführt) aufgestellt. Die untere Kirche (Krypte) stützen massive niedrige Säulen. In ihr befindet sich der Zugang zu der eingebauten, 1906 eingeweihten Kaisergruft.
In den Anlagen um den Dom sind der Domnapf, der früher vor dem Dom stand und den bischöflichen Immunitätsbezirk begrenzte, die Antikenhalle, ehemals eine Sammlung römischer Altertümer bergend, der Ölberg (eine mit eingemeißelten bildlichen Darstellungen der Leiden Christi, Blätterwerk etc. geschmückte Steinmasse), das Heidentürmchen, dessen Unterbau wahrscheinlich aus der Römerzeit stammt, die Kolossalbüste des Professors Schwerd und die des früheren Regierungspräsidenten von Stengel hervorzuheben.
Nachdem der Dom schon 1159, 1289 und 1540 durch Feuersbrünste gelitten, wurde er am 31. Mai 1689 von den Franzosen fast ganz niedergebrannt; sogar die alten Kaisergräber wurden aufgerissen und die Gebeine umhergestreut. Erst 1772–84 wurde der Dom wieder aufgebaut, aber schon 1794 von den Franzosen abermals demoliert und in ein Heumagazin verwandelt. Durch König Maximilian I. wurde er wieder hergestellt und am 19. Mai 1822 eingeweiht. Später wurden auch die westlichen Türme mit dem Umbau und Neubau der Fassade wieder ersetzt und der alte Kaiserdom wieder eingeweiht.
Von den evangelischen Kirchen Speyers ist besonders die neu erbaute, 1904 eingeweihte gotische Retscher- oder Protestationskirche bemerkenswert, die an den Protest der evangelischen Stände gegen die Beschlüsse des Reichstags von Speyer, 1529, erinnern soll. Aus alter Zeit stammen noch: das Altpörtel (Alta porta), bereits 1276 erwähnt, jetzt Stadtturm mit Uhr, und die Überreste eines alten Judenbades sowie des Retschers, eines alten, wohl bischöflichen Palastes, der 1689 zerstört wurde.
Das alte Kaufhaus, ein prächtiger Bau und früher das Haus der Münzer, ist im alten Stil wieder hergestellt und um ein Stockwerk erhöht. In seinen Räumen sind jetzt verschiedene städtische Behörden, die Polizei etc., untergebracht. Ein großartiges Museumsgebäude ist 1907 im Bau begriffen. Im Jahr 1905 leben in Speyer mit der Garnison (ein Pionierbataillon Nr. 2) 21.856 Einwohner, davon 9438 Evangelische und 476 Juden.
Die Industrie in Speyer erstreckt sich auf Baumwollspinnerei, Fabrikation von Maschinen, Zigarren, Zelluloid und Zelluloidwaren, Schäften und Schuhen, Metallwaren, Pauspapier, Munition, Möbeln, Zwieback, Schokolade, Bonbons, Lack, Pflanzenleim, Zementwaren, Drahtstiften, Malz etc., Eisengießerei, Bierbrauerei, Ziegelbrennerei, Wein- und Tabakbau; es besteht eine große Gärtnerei mit Baumschule.
Der Handel in Speyer, unterstützt durch einen Hafen, eine Nebenstelle der Reichsbank und andere Geldinstitute, ist besonders wichtig in Tabak, Leder, Vieh, Häuten, Holz, Getreide, Kolonialwaren, Wein etc. Im Hafen kamen 1905 an: 2101 Schiffe (darunter 456 Dampfer) mit 98.799 Tonnen Ladung; es gingen ab: 2109 Schiffe (darunter 457 Dampfer) mit 15.200 Tonnen Ladung.
Speyer hat ein Gymnasium, eine Realschule, ein katholisches Schullehrerseminar, ein bischöfliches Klerikal- und ein Knabenseminar, ein Waisenhaus, eine Erziehungsanstalt für verwahrloste Kinder, eine Diakonissenanstalt, ein Kloster der Dominikanerinnen mit Mädcheninstitut, ein Museum mit Bildergalerie etc. und ist Sitz einer Kreisregierung, eines Bezirksamts, des Kreisarchivs, der Landesversicherungsanstalt für die Pfalz, eines Amtsgerichts, Zollamts, Forstamts, eines Bischofs, eines evangelischen Konsistoriums etc.
Speyer, das römische Noviomagus, die Stadt der Nemeter, trägt seit dem 7. Jahrhundert den Namen Spira. Um 30 v. Chr. von den Römern erobert und befestigt, von den Alemannen um 300 mehrmals zerstört, wurde Speyer von den Kaisern Konstantin und Julian wieder hergestellt, litt im 5. Jahrhundert unter Wandalen und Hunnen, wurde im 6. Jahrhundert fränkisch und fiel 843 an das ostfränkische Reich. Neben dem bischöflichen Schultheißen, dem die niedere Gerichtsbarkeit zustand, waltete bis 1146 ein königlicher Burggraf, dessen Amt damals der Bischof, nach 1200 aber die Stadt erwarb.
Nachdem schon Heinrich V. eine Ratsverfassung gegeben hatte, die König Philipp 1198 bestätigte, wurde Speyer im 13. Jahrhundert Reichsstadt, erhielt das Stapelrecht, erwarb jedoch kein Gebiet. 1513 bis 1689 war Speyer Sitz des Reichskammergerichts. Als Reichsstadt hatte Speyer unter den Reichsstädten der rheinischen Bank den fünften Platz, auch Sitz und Stimme auf den oberrheinischen Kreistagen. Unter den Reichstagen, die zu Speyer (meist in einem Gebäude des Ratshofs) gehalten wurden, sind besonders die von 1526 und von 1529 wichtig, von denen der erste die Ausführung des Wormser Edikts vertagte, der zweite die Einigung der Evangelischen zu einer Protestationsschrift (daher „Protestanten“) veranlasste.
Städtetage fanden hier 1346 und 1381 statt. Im Frieden zu Speyer 1544 verzichtete das Haus Habsburg auf die Krone von Dänemark-Norwegen. Im Dreißigjährigen Krieg wurde Speyer 1632–35 abwechselnd von den Schweden, den Kaiserlichen und den Franzosen erobert. Durch Kapitulation 1688 wiederum den Franzosen übergeben, wurde es im Mai 1689 beim Anrücken der Alliierten nach Schleifung der Festungswerke geräumt. 1792 wurde Speyer von den Franzosen unter Custine eingenommen und gebrandschatzt, war 1801–14 Hauptstadt des französischen Departements Donnersberg und wurde 1815 bayrisch.
Speyer ist heute eine kreisfreie Stadt in Rheinland-Pfalz mit rund 50.700 Einwohnern (2020).
Bildergalerie
Quellenhinweise:
- Prof. A. L. Hickmann’s Geographisch-statistischer Taschen-Atlas des Deutsches Reichs, Leipzig und Wien 1897
- „F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas“, Verlag von Velhagen & Klasing, 1902
- „Harms Vaterländische Erdkunde“, 1906
- „Post-Taschen-Atlas von Deutschland nebst Ortsverzeichnis“, Th. Pfuhl, Berlin, 1906
- „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 20 Bänden, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1905-1911
- „Petzolds Gemeinde- und Ortslexikon des Deutschen Reiches“, Band 1 und 2, Bischofswerda (Sachsen), 1911
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