Memel in Ostpreußen im Königreich Preußen, Stadtgeschichte in alten Ansichtskarten und zeitgenössischen Texten.
Memel, nördlichste Stadt des Deutschen Reichs (Kaiserreich)
Memel 20.687 Einwohner – 1905 = 212. Platz der größten Städte des Deutschen Reichs.
Memel in Ostpreußen im Königreich Preußen
Memel ist eine Kreisstadt im Königreich Preußen, Provinz Ostpreußen, Regierungsbezirk Königsberg und die nördlichste Stadt des Deutschen Reiches.
Die Stadt Memel liegt an der Mündung der schiffbaren Dange in das Memeler Tief, welches das Kurische Haff mit der Ostsee verbindet.
Memel ist Sitz eines Landgerichts, eines Hauptzollamts, einer Prüfungskommission für Lotsen und Seefahrer, eines Lotsenkommandos und einer Rettungsstation für Schiffbrüchige und hat ein Gymnasium, Schullehrerseminar, Präparandenanstalt, Navigationshauptschule, ein Waisenhaus und ein Aussätzigenheim.
Die Stadt Memel ist Knotenpunkt der Staatsbahnlinien Osterode-Memel und Memel-Bajohren. Sie hat 2 evangelische, eine englische, eine katholische Kirche und eine Synagoge. Im Jahr 1905 leben hier mit der Garnison (ein Bataillon Infanterie Nr. 41) 20.687 Einwohner. Der Großteil sind Evangelische, 862 sind Katholiken und 899 Juden.
An gewerblichen Einrichtungen bestehen eine Fabrik zur Herstellung chemischer Produkte, 2 Schiffswerften, sowie Eisengießereien, Maschinenfabriken, eine Seifenfabrik, Zellulose-, Zigaretten-, Essig-, Kerzen- u. Tauwerkfabrikation, Bierbrauerei u. Branntweinbrennerei.
Der Handel wird durch ein Vorsteheramt der Kaufmannschaft, durch 12 Konsulate fremder Länder und eine Nebenstelle der Reichsbank (Umsatz 1904: 223,5 Millionen Mark) unterstützt und ist bedeutend in Holz, Leinsaat, Flachs, Hanf, Steinkohlen, Düngemitteln und Fischen (besonders Heringen) etc.
Die Reederei zählte 1904 außer einer größeren Anzahl von Küstenfischerei-Fahrzeugen etc. 15 Dampfschiffe zu 8168 Registertonnen Raumgehalt. In dem geräumigen, durch Molen geschützten und mit einem Leuchtturm versehenen Hafen belief sich der Seeverkehr 1903 auf 570 angekommene Seeschiffe zu 201.110 Registertonnen und 598 abgegangene Seeschiffe zu 207.550 Registertonnen.
Zum Landgerichtsbezirk Memel gehören die vier Amtsgerichte: Heydekrug, Memel, Prökuls und Ruß. In der Nähe liegen die großen Dörfer Bommelsvitte und Königlich Schmelz und das Forsthaus Försterei mit Seebad.
Geschichte der Stadt Memel:
Memel wurde 1252 unter den Mauern der Deutschordensburg Memelburg gegründet und bekam lübisches Recht. Ein Drittel der Stadt gehörte dem Bischof von Kurland, zwei Drittel besaß der livländische Schwertorden.
Letzterer übertrug 1326 seinen Anteil dem Deutschen Orden, der 1328 die ganze Stadt erhielt und sie 1404 aufs neue befestigte. In den Kriegen mit den Litauern und Polen im 13.–15. Jahrhundert hatte die Stadt viel zu leiden, brannte wiederholt ab, war eine Zeitlang im Besitz der Schweden und wurde 1757 von den Russen besetzt.
Nach der Schlacht bei Jena (1806) weilten zu Anfang 1807 König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise hier und am 28. Januar des Jahres schlossen hier Preußen und England Frieden. Am 27. Dezember 1812 wurde Memel infolge der Kapitulation zwischen Trabenfeld und Paulucci von den Russen besetzt. Memel erhielt erst 1875 Eisenbahnverbindung. Die Stadt ist Geburtsort des Dichters Simon Dach (1605).
Während des Ersten Weltkrieges (1914 – 1918) wurde Memel am 18. März 1915 von russischen Truppen besetzt und geplündert, aber wenige Tage später unter dem Kommando Esebeck nach heftigen Straßenkämpfen wieder befreit. Die Matrosen von S.M.S. Lübeck zeichneten sich bei der Verteidigung Memels besonders aus.
Memel nach dem Ersten Weltkrieg
Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages, Artikel 69 musste Deutschland 1919 auf das Memelgebiet (der nördlich des Flusses Memel gelegenen Teil Ostpreußens einschließlich des nördlichen Teils des Kurischen Haffs und der Kurischen Nehrung) ohne Volksabstimmung verzichten.
Das Memelgebiet wurde zunächst unter Aufsicht des Völkerbundes gestellt, 1920 übernahm Frankreich die Verwaltung. Im Januar 1923 besetzten litauische Freischärler das Memelgebiet und gliederten es unter Gewährung einer autonomen Verwaltung am 16. Februar 1923 Litauen an.
Als 1925 abgehaltene freie Wahlen über 81 % prodeutsche Parteien ergaben wurde die Autonomie 1926 per Kriegsrecht weitgehend aufgehoben.
Nach dem deutsch-litauischen Vertrag vom 23. August 1939 gab Litauen das Memelland an Deutschland zurück. 1940 besetzte und annektierte die Sowjetunion Litauen. Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Ende des Zweiten Weltkrieges (1939 – 1945) wurde die Bevölkerung vor der herannahenden Roten Armee evakuiert.
Nach Kriegsende annektierte die Sowjetunion das nördliche Ostpreußen. Memel erhielt den litauischen Namen Klaipeda. Die entvölkerte Stadt wurde nun hauptsächlich mit Russen und Litauer besiedelt. Seit der Unabhängigkeit Litauens 1990/91 gehört die Stadt zum litauischen Staat und hat heute rund 167.000 (2021) Einwohner.
Bildergalerie
Quellenhinweise:
- Prof. A. L. Hickmann’s Geographisch-statistischer Taschen-Atlas des Deutsches Reichs, Leipzig und Wien 1897
- „F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas“, Verlag von Velhagen & Klasing, 1902
- „Harms Vaterländische Erdkunde“, 1906
- „Post-Taschen-Atlas von Deutschland nebst Ortsverzeichnis“, Th. Pfuhl, Berlin, 1906
- „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 20 Bänden, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1905-1911
- „Petzolds Gemeinde- und Ortslexikon des Deutschen Reiches“, Band 1 und 2, Bischofswerda (Sachsen), 1911
- „Schwarzbuch der Vertreibung 1945-1948: Das letzte Kapitel unbewältigter Vergangenheit“ von Heinz Nawratil, Universitas 2007
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Da die Memel-Seite immer wieder unter den Top 10 der meistgelesenen Seiten zu finden ist, habe ich ihr heute mal ein paar schöne neue großformatige Ansichtskarten spendiert. Viel Vergnügen!
Super Danke , kann man die Karten irgendwo kaufen ?
Danke für die Bilder. Ich bin in der Tilsiter-Str. 7 in Memel geboren. Heute ist in meinem Geb-Haus die Stadt-Bibliothek untergebracht. Nun freue ich mich über die Bilder, da sie dem entsprechen, wovon meine Mutter („Mutti“ wurde sie genannt), häufig erzählte. Für die Zeit bis 1944 war die Stadt mit 21.000 Bürgern doch schon eine Großstadt. Mich erstaunen die breiten Boulevards. Man kann sich beim Betrachten Ihrer Bilder direkt in das freiheitliche Gefühl der damaligen Zeit hineinversetzen.
Habe Sie noch mehr derartige Bilder oder Dokumente? Auch vom übrigen Memelland?