Gießen (Giessen) im Großherzogtum Hessen, Stadtgeschichte in alten Ansichtskarten und zeitgenössischen Texten.
Gießen 29.149 Einwohner – 1905 = 141. Platz der größten Städte des Deutschen Reichs.
Gießen (Giessen) im Großherzogtum Hessen
Gießen (Giessen) ist eine Stadt im Großherzogtum Hessen und Hauptstadt der Provinz Oberhessen, in anmutiger Lage am Einfluss der Wieseck in die Lahn und 165 Meter über dem Meer.
Gießen macht, obschon der älteste Stadtteil eng und winklig erscheint, im ganzen durch zahlreiche Neubauten einen modernen Eindruck. Die erstmalig von Philipp dem Großmütigen 1530–33 errichteten Festungswerke wurden 1805 endgültig geschleift. An ihre Stelle sind schöne Promenaden getreten.
Gießen ist Knoten- oder Ausgangspunkt der Staatsbahnen Frankfurt a. M.– Niederwalgern, Köln-Gießen, Gießen-Fulda, Gießen-Gelnhausen, Gießen-Koblenz.
Die ansehnlichsten Plätze Gießens sind der Brand, das Kreuz, der Kirchen- und der Marktplatz. Unter den Gebäuden sind hervorzuheben die Stadtkirche und die Johanneskirche, eine neue (1904) katholische Kirche, 2 Synagogen, eine im 14. Jahrhundert errichtete Wasserburg (jetzt Museum), ein landgräfliches Zeughaus (jetzt Kaserne) mit dem sogenannte Schlösschen, die Gebäude der Universität und ihrer Anstalten, das Justizgebäude, das Volksbad, die Kasernen.
Nennenswerte Monumente sind das Kriegerdenkmal von L. Habich und das Denkmal Justus von Liebigs (von Schaper). Im Jahr 1900 leben in Gießen einschließlich der Garnison (Infanterieregiment Kaiser Wilhelm Nr. 116) 25.491 (1904 etwa 27.500) Einwohner, der Großteil sind Evangelische, 2464 sind Katholiken und 895 Juden. Industrie und Handel in Gießen sind sehr rege.
Hervorzuheben sind Tabak- und Zigarrenfabrikation (3000 Arbeiter), Textilindustrie, Bierbrauerei, Eisengießerei und Maschinenfabrikation, Müllerei, Korsett-, Lampen-, Möbel-, Geldschrank-, Erdfarben-, Lack- und Firnisfabrikation etc. In der Umgebung von Gießen ist eins der bedeutendsten Braunsteinbergwerke der Welt. Der Handel wird durch eine Handelskammer, eine Nebenstelle der Reichsbank und andere Geldinstitute unterstützt.
Die 1607 vom Landgrafen Ludwig V. gegründete Universität (Ludoviciana), die 1625–50 nach Marburg verlegt war, zählte 1903: 1092 Studierende. Sie hat eine große Zahl neu errichteter und modernen Bedürfnissen entsprechender Institute und Anstalten, besonders für den medizinischen und naturwissenschaftlichen Unterrichtsbetrieb:
Bibliothek (1904), chemisches Laboratorium, physikalisches und physikalisch-chemisches Institut, psychiatrische, medizinische und gynäkologische Klinik, chirurgische und Augenklinik , pathologisches und hygienisches Institut, mehrere neue Veterinärinstitute, anatomisches, physiologisches, pharmakologisches und zoologisches Institut, botanischer und forstbotanischer Garten u. a.
Der Unterricht in der Landwirtschaft und im Forstfach ist mit der Universität verbunden. An sonstigen Lehranstalten besitzt Gießen ein Gymnasium, ein Realgymnasium und eine Oberrealschule. Auch hat die Stadt eine ständige Kunstausstellung und ist Sitz der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde, des Oberhessischen Geschichtsvereins etc.
Die städtischen Behörden Gießens zählen 4 Magistratspersonen und 27 Stadtverordnete. Gießen ist Sitz der Provinzialdirektion für Oberhessen, eines Kreisamtes und eines Landgerichts. Zum Landgerichtsbezirk Gießen gehören die 20 Amtsgerichte zu Alsfeld, Altenstadt, Büdingen, Butzbach, Friedberg in Hessen, Gießen, Grünberg/Hessen, Herbstein, Homberg in Oberhessen, Hungen, Laubach, Lauterbach, Lich, Nauheim, Nidda, Ortenberg, Schlitz, Schotten, Ulrichstein und Vilbel. In der Nähe liegen die Burgruinen Gleiberg, Vetzberg und Staufenberg sowie die ehemalige Deutschordenskomturei Schiffenberg.
Gießen Geschichte
Gießen (bei den Alten oft „Zu den Gissen“ genannt, wahrscheinlich von den zahlreichen Flüsschen, die hier ihr Wasser in die Lahn „gießen“) gehörte ursprünglich zur Grafschaft Gleiberg. Im Jahr 1203 kam es an den Pfalzgrafen Rudolf von Tübingen, erhielt um die Mitte des 13. Jahrhundert Stadtrecht und wurde 1265 mit der Grafschaft Gießen an Hessen verkauft. Mit dem Aussterben der Marburger Linie fiel Gießen 1604 an Hessen-Darmstadt. Während des Siebenjährigen Krieges war Gießen 1759–63 von den Franzosen besetzt.
Gießen ist heute eine Stadt im Bundesland Hessen, Landkreis Gießen, mit rund 90.000 Einwohnern (2020).
Bildergalerie
Quellenhinweise:
- Prof. A. L. Hickmann’s Geographisch-statistischer Taschen-Atlas des Deutsches Reichs, Leipzig und Wien 1897
- „F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas“, Verlag von Velhagen & Klasing, 1902
- „Harms Vaterländische Erdkunde“, 1906
- „Post-Taschen-Atlas von Deutschland nebst Ortsverzeichnis“, Th. Pfuhl, Berlin, 1906
- „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 20 Bänden, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1905-1911
- „Petzolds Gemeinde- und Ortslexikon des Deutschen Reiches“, Band 1 und 2, Bischofswerda (Sachsen), 1911
Ähnliche Beiträge