Genève, Quai du Léman

Genf

Der Kanton Genf (Genève) in einer Darstellung um 1900, Geschichte in alten Ansichtskarten und zeitgenössischen Texten.

Hauptort Genf

Genève, Les Quais
Genève, Les Quais

Kanton Genf

Kanton Genf, Karte 1914
Kanton Genf, Karte 1914

Genf (franz. Genève, ital. Ginevra), ein Kanton der Schweiz, erstreckt sich zu beiden Seiten der Südwestecke des Genfer Sees und längs der Rhone, wird fast ganz von Frankreich umschlossen und ist nur auf dem rechten Seeufer durch den schmalen Streifen Versoix-Céligny mit der übrigen Schweiz (Kanton Waadt) verbunden. Das Ländchen bildet einen Teil des aus Sandsteinen und Mergeln bestehenden und mit Gletscherschutt bedeckten Flachlandes, das durch die Rhone, die aus den Gletschergebieten des Montblanc kommende Arve und deren Zuflüsse in Hügel von 338–521 m Meereshöhe zerlegt ist. Das Klima ist gesund und wegen der Nähe des Sees ziemlich mild; die mittlere Jahrestemperatur beträgt 9,3°C (im Winter 0,7, im Sommer 17,9°C). Die Höhe der Niederschläge, die in den Monaten August bis Oktober am stärksten sind, erreicht 83,6 cm. Im Winter weht meist der trockne, kalte Nordostwind, die sogenannte Bise, im Sommer der warme und feuchte Südwind (vent du midi); beide steigern sich nicht selten zu großer Heftigkeit.

Genève, Plaine de Plainpalais un jour de fete
Genève, Plaine de Plainpalais un jour de fete

Stadt Genf

Genf Stadtplan 1910 (Wagner & Debes Leipzig)
Genf Stadtplan 1910 (Wagner & Debes Leipzig)

Die Stadt Genf ist Hauptstadt des Kantons Genf, liegt 379 Meter über dem Meer, am Ausfluss der Rhone aus dem Genfer See, ist Knotenpunkt der Eisenbahnen Genf-Lausanne-St. Maurice und Genf-Mâcon sowie mehrerer Schmalspurbahnen. Genf ist wegen seiner unvergleichlichen Lage an dem belebten See und dem klaren Strom, durch die reiche Abwechslung in seiner Umgebung (im Norden die sanften Abhänge des Jura, im Süden der schroffe Salève, dahinter die gletscherreiche Montblanc-Kette) eine der schönsten Städte Europas und deshalb von Fremden viel besucht. Die Stadt besteht aus St.-Gervais am flachen, sanft nach dem Vorort Petit Saconnet (6408 Einwohner) ansteigenden Ufer und der Altstadt (Vieille Cité) auf dem die Kathedrale tragenden und ca. 29 m über dem See gelegenen Sandsteinhügel St.-Pierre. Beide Stadtteile werden durch sieben Brücken verbunden, darunter den auf zwölf Bogen ruhenden Pont du Montblanc, der vom Grand Quai zu dem durch den Überblick auf die Berge Savoyens berühmten Quai du Montblanc führt.

Genève, Statue du Général Dufour
Genève, Statue du Général Dufour

Zwischen dieser Brücke und dem Pont des Bergues, von letzterem aus zugänglich und eine herrliche Aussicht über den See, die beiden Uferseiten und das Gebirge darbietend, liegt die von Bäumen überschattete Rousseau-Insel mit dem Erzstandbild des Philosophen (1834, von Pradier). Unterhalb liegt eine größere Insel, die sogenannte Ile, die durch Brücken mit den beiden Stadtteilen verbunden ist. Am Seeufer und teilweise an der Rhone ziehen sich aussichtsreiche Kais hin. Im Jardin des Alpes steht das Mausoleum des Herzogs Karl von Braunschweig (1879, von Franel), eine Nachahmung des Denkmals der Scaliger in Verona (das Reiterstandbild des Herzogs [von Caïn] steht in den Gartenanlagen); jenseits steht am Grand Quai das die Vereinigung Genfs mit der Schweiz feiernde Nationaldenkmal (von Dorer). Östlich davon liegt der Englische Garten oder die Promenade du Lac mit Fontaine, den Büsten der Maler Calame und Diday und einem Montblanc-Relief. Von Denkmälern sind noch zu nennen das Reiterstandbild des Generals Dufour (von Lanz) vor dem Theater und das Denkmal des Genfer Schriftstellers R. Töpffer.

Genève, Rue du Mont-Blanc
Genève, Rue du Mont-Blanc

Unter den Kirchen ragt die reformierte Kathedrale St.-Pierre, 1124 in byzantinischem Stil vollendet, restauriert, mit guten Holzschnitzereien und den Grabmälern des Herzogs von Rohan (Chefs der Protestanten unter Ludwig XIII.) und des Agrippa d’Aubigné (des Freundes Heinrichs IV.), hervor; daran schließt sich die gotische Makkabäerkapelle, 1406 erbaut, neuerdings restauriert. Sonst sind zu erwähnen der reformierte Temple de la Fusterie, die altkatholische Kirche St.-Germain, die römisch-katholische Kirche du Sacré-Coeur, eine russische, eine englische Kirche und eine Synagoge; ferner von Profanbauten das Rathaus, ein altertümliches Gebäude im florentinischen Stil, Sitz der Kantonsregierung, das neue Theater (1872–79, von Goß), die Universität (1868 bis 1872 erbaut) mit dem archäologischen und naturhistorischen Museum sowie einer Bibliothek von 150.000 Bänden und 16.000 Handschriften, das Gebäude der medizinischen Fakultät, der Kursaal, in dessen Nähe 1898 die Kaiserin Elisabeth von Österreich ermordet wurde, die Victoria Hall im florentinischen Stil (seit 1894, ein Konzerthaus), das Athenäum (für Vortragszwecke) u. a. Unter den Privatgebäuden bieten das ehemalige Wohnhaus Calvins (Rue Calvin) und das Geburtshaus Rousseaus (Grand‘ Rue) das meiste Interesse. Genf hatte 1900 mit den einverleibten Vororten Carouge (7420 Einwohner), Eaux Vives (11.836 Einwohner) und Plainpalais (20.066 Einwohner) 105.521 Einwohner, wovon 43,21 % Ausländer sind. Die Stadt ist Hauptsitz der im Kanton Genf betriebenen Industriezweige, hat einen Hafen, der gegen den See durch zwei Dämme (Jetée des Pâquis rechts und Jetée des Eaux Vives, mit Leuchtturm, links) abgeschlossen ist, drei Markthallen, eine Handelskammer und beträchtlichen Handel mit Bodenprodukten und Industrieerzeugnissen.

Genève, Quai du Mont Blanc - Les Promenades
Genève, Quai du Mont Blanc – Les Promenades

Auch ist Gemf Sitz eines deutschen Konsuls. Der Verkehr wird durch ein ausgedehntes Netz elektrischer Straßenbahnen gefördert. Unter den Bildungsanstalten tritt besonders hervor die 1873 aus der 1559 gegründeten Calvinischen Akademie hervorgegangene Universität (mit fünf Fakultäten), 1902 von 1075 Studierenden (darunter viele Ausländer, besonders Russen, und 372 Frauen) besucht. Ferner bestehen ein Collège, eine Uhrmacherschule, eine Handelsschule, eine Kunstgewerbeschule und ein Technikum. Unter den Kunstsammlungen sind zu nennen das Musée Rath, vom russischen General Rath angelegt und 1825 der Stadt geschenkt, mit Gemälden und Skulpturen, das Musée Fol mit griechischen, römischen und etruskischen Altertümern etc., das Musée Ariana, vom Schriftsteller G. Revilliod 1890 geschenkt, eine Sammlung von Gemälden, Kupferstichen und Autographen u. a. Genf ist der Sitz von 27 gelehrten Gesellschaften und zahlreichen Vereinen; es erscheinen dort 80 periodische Druckschriften, darunter 9 politische Zeitungen. Dem Reichtum der Stadt entspricht die große Zahl wohltätiger Anstalten, die z. T. kantonal (wie das große Kantonspital), meist aber Privatanstalten (wie die beiden Spitäler Butini, die vom Baron A. von Rothschild gegründete Augenheilanstalt, ein Kinderspital u. a.) sind. Die städtischen Einnahmen betrugen 1901: 7.712.296 Franken, die Ausgaben 8.270.415 Franken.

Aufnahme in die Schweizer Eidgenossenschaft:

Im Jahr 1815 trat Genf als 22. Kanton der Eidgenossenschaft bei.

Schweizer Kantone, Karte 1914
Schweizer Kantone, Karte 1914

Größe:

  • 1880: 279,4 km²,
  • 1900: 277 (ohne den See 249,4) km²

Bevölkerungsdichte:

  • 1879: 367,32,
  • 1900: 481 Einwohner/km²

Einwohner:

  • 1879: 102.630
  • 1880: 101.637
  • 1900: 133.417
Genève, Promenade des Bastions
Genève, Promenade des Bastions

Gewässer:

Fluss Rhone, Genfer See

Sprachen:

Jahr 1900 = 133.417 Einwohner. Nach ihrer Muttersprache sind

  • 110.058 Franzosen
  •   13.766 Deutsche
  •    7.300 Italiener
  •      114 Romanen etc.

Die Zahl der Ausländer ist 1900 auf 52.132 (39,3 %) gestiegen, darunter 34.054 Franzosen.

Genève, Place du Molard
Genève, Place du Molard

Religionen:

Die Stadt Genf ist traditionell reformiertes Gebiet, die nach 1815 angeschlossenen, vormals französischen Gebiete, mehrheitlich römisch-katholisch. Nach der Konfession zählte man im Jahr 1900:
67.228 Katholiken,62.541 Reformierte  1.076 Juden.Die reformierte und altkatholische Staatskirche stehen unter der Oberaufsicht des Staates; jene ist einem Konsistorium, das aus 25 Laien und 6 Geistlichen besteht, diese dem aus 25 Laien und 5 Geistlichen zusammengesetzten Conseil supérieur unterstellt. Die Römisch-Katholischen sind wie die Juden und die anderen Kulte völlig unabhängig. Das Unterrichtswesen des Kantons Genf befindet sich in vortrefflichem Zustand. An die Primärschule schließt sich für das Alter von 13–15 Jahren die obligatorische Fortbildungsschule an. An Mittelschulen bestehen das Collège (Kantonschule mit Lehrerseminar) und die höhere Mädchenschule (mit Lehrerinnenseminar), ferner an Fachschulen 12 landwirtschaftliche Schulen, eine Gartenbauschule, eine Gewerbeschule, eine Kunst-, eine Handels-, eine Uhrmacherschule, eine Bauhandwerkerschule und ein Technikum. In der Stadt Genf bestehen eine Universität und ein Musikkonservatorium.

Genève, Le Théâtre
Genève, Le Théâtre

Wirtschaft:

Im Flachlande sind Gärtnerei und Weinbau die Haupterwerbszweige. 230 km² oder 83 % der Gesamtfläche sind produktiv; davon entfallen 103 km² auf Äcker, 10 km² auf Obst- und Gemüsegärten, 65 km² auf Kunstwiesen, 19,3 km² auf Weinberge, 27,7 km² auf Wald. Der Ertrag des an sich wenig ergiebigen Bodens ist durch Drainage und Bewässerungsanlagen erhöht worden. Der Weinbau ist verhältnismäßig sehr ausgedehnt und lieferte 1901: 122,913 hl (meist Weißwein) im Werte von 2,6 Millionen Franken. Nach der Zählung von 1903 enthielt der Kanton 3778 Pferde, 8396 Rinder, 2425 Schweine, 549 Schafe und 1469 Ziegen. Das Tierreich ist vorzüglich durch die Vögel (307 Arten) vertreten. Die Fischerei im See und in der Rhone ist bedeutend. Sandstein-, Töpfer- und Ziegeltonlager sind häufig. Die ergiebigsten Erwerbszweige der Bevölkerung bilden Industrie und Handel. 1902 waren 394 Betriebe dem Fabrikgesetz unterstellt. Von hervorragender Bedeutung ist die Präzisionsmechanik, besonders die Uhrmacherei, die sich weniger durch die Menge von Fabrikaten als durch die Herstellung von kunstvollen und reichverzierten Werken auszeichnet; der Wert der Produktion beläuft sich jährlich auf 10 Millionen Franken. Die Uhrmacherei wurde 1587 von einem Franzosen, Ch. Cousin, nach Genf gebracht und erreichte 1789, wo sie 4000 Arbeiter beschäftigte, ihren Höhepunkt. Daneben entwickelte sich seit 1796 die Herstellung von Musikdosen, deren Erfindung einem Genfer, Ant. Favre, zu danken ist; neuerdings ist dieser Industriezweig im Rückgang begriffen. Bedeutend ist dagegen die Industrie in Gold- und Silberwaren (Uhrgehäuse und Schmuckwaren). Daneben bestehen Eisengießereien, mechanische Werkstätten, Fabriken für Chemikalien und Anilinfarben, Kerzen und Seife, Schokolade, Zigarren, Automobile; die Stadt Genf besitzt an der Rhone zwei große Wasser- und Elektrizitätswerke: La Conlouvrenière in der Stadt (20 Turbinen) und Chèvres (15 Turbinen) 6 km unterhalb Genfs. An der Grenze Frankreichs gelegen, ist Genf gleichsam das Tor, durch das ein bedeutender Handel mit Frankreich, den Vereinigten Staaten von Nordamerika und besonders mit Italien pulsiert. Um den Verkehr mit den französischen Nachbargebieten zu erleichtern, ist der Kanton Genf von einer neutralen zollfreien Zone umgeben, die sich über das Pays de Gex und den größten Teil von Obersavoyen erstreckt. Von den zahlreichen Banken hat allein die Handelsbank das Recht der Notenemission im Höchstbetrag von 24 Millionen Franken.

Genève, Le Pont du Mont-Blanc
Genève, Le Pont du Mont-Blanc

Politische Verwaltung und Einteilung:

Nach der Verfassung vom 14. Mai 1847 (zuletzt 1892 revidiert) hat der Kanton Genf eine repräsentativdemokratische Staatsform. Die Gesamtheit der stimmfähigen Einwohner (Conseil général) wählt die Behörden und die 7 Vertreter für den Nationalrat sowie die beiden Ständeräte; sie besitzt das Recht der Initiative (bei Unterstützung von mindestens 2500 Bürgern) und das fakultative Referendum (auf Antrag von mindestens 3500 Wählern). Das Organ der gesetzgebenden Gewalt ist der Große Rat (Grand Conseil) von 100 Mitgliedern, die von den drei Wahlbezirken (Stadt, rechtes und linkes Ufer) auf 3 Jahre durch Listenskrutinium gewählt werden. Er übt die Aussicht über die Verwaltung und das Begnadigungsrecht aus, bestimmt den jährlichen Staatshaushalt, wählt die Richter etc. Die ausübende Gewalt ist dem Staatsrat (Conseil d’Etat) von 7 auf 3 Jahre vom Großen Rat ernannten Mitgliedern übertragen. Die Rechtspflege wird durch Schiedsgerichte, Friedensgerichte, einen Gerichtshof erster Instanz, ein Zivil-, Straf- und Korrektionsgericht und ein Kassationsgericht ausgeübt. Jede der 48 Gemeinden hat einen Conseil municipal, der je auf 4 Jahre gewählt wird. In der Stadt Genf ist die Verwaltung einem Conseil administratif übertragen, der wie der Conseil municipal direkt von den stimmberechtigten Einwohnern gewählt wird. Die Staatseinnahmen betrugen 1903: 8.862.933, die Ausgaben 9.475.283 Franken. Die Einnahmen setzen sich aus Stempel- und Hypothekensporteln, einer progressiven Vermögenssteuer, einer Mietswertsteuer, einer Grundwertsteuer, Steuern auf Pferde und Wagen, Automobile etc. zusammen. Die Summe der Staatsanleihen betrug Ende 1903: 41.908.700 Franken.

Genève, La Tour de Molard
Genève, La Tour de Molard

Städte und Gemeinden:

Der Kanton Genf besteht aus 3 Bezirken. (Angaben 1880).

Genf, Vernier, Lancy, Meyrin, Carouge, Onex, Thônex, Versoix

Geschichte:

Genf (Genava) erscheint zuerst als befestigte Grenzstadt der Allobroger gegen Helvetien und fiel mit jenen um 120 v. Chr. unter die Herrschaft der Römer. Von Genf aus verhinderte Cäsar 58 v. Chr. den Übergang der Helvetier über die Rhone. Früh drang das Christentum von Lyon her in die Stadt ein, die schon 450 Sitz eines Bischofs war. 443 fiel Genf an die Burgunder und wurde eine ihrer Hauptstädte; 534 kam es mit Burgund an die Franken, 888 an das neuburgundische Reich und 1033 mit diesem unter den Kaiser. Frühzeitig erlangten die Bischöfe die weltliche Herrschaft über die Stadt; doch hatten sie stets gegen die Übergriffe der Grafen des Genfer Gaues zu kämpfen, bis diese durch die mächtigeren Grafen von Savoyen beiseite geschoben wurden, die 1290 das Recht erlangten, den „Vidomne“ (vicedominus) einzusetzen, der im Namen des Bischofs einen Teil der Gerichtsbarkeit in der Stadt ausübte. Um dieselbe Zeit legte aber die Genfer Bürgerschaft den Grundstein zu ihrer Freiheit, indem sie das Recht erlangte, jährlich vier Syndiks (Bürgermeister) zu wählen; 1387 erhielt sie vom Bischof Adhémar ein Stadtrecht, das die kommunale Selbstverwaltung sicherte. Nachdem das Haus Savoyen durch das Aussterben der Grafen von Genf (1394) in den Besitz der Landschaft Genevois gekommen war und 1416 den Herzogstitel erlangt hatte, trachtete es danach, die Stadt, die gleichsam den Schlussstein seines den Genfer See umgebenden Gebietes bildete und Sitz einer berühmten Messe war, ganz in seine Gewalt zu bringen; aber an dem Freiheitssinn der Genfer scheiterten alle seine Anschläge. Der patriotische Verein der „Kinder Genfs“ (enfants de Genève) suchte, geleitet von Philipp Berthelier, Besançon Hugues und Bonivard, gegen die Gewalttaten Herzog Karls III. (1504–53) Rettung durch Anschluss an die Eidgenossenschaft. Als sich Freiburg 1519 zu einem Bündnis bewegen ließ, gelang es dem Herzog, die Schweizer Tagsatzung zu dessen Aufhebung zu bestimmen, worauf er Genf mit Truppen besetzte.

Genève, Statue de J. J. Rousseau
Genève, Statue de J. J. Rousseau

Zwar musste er es vor den Drohungen Freiburgs bald wieder räumen, allein der Bischof gab sich zum Werkzeug des Herzogs her, Berthelier wurde enthauptet, und mehrere Jahre lastete die Tyrannei Savoyens auf der Stadt, bis es dem entflohenen Besançon Hugues gelang, außer Freiburg auch Bern am 8. Februar 1526 zu einem Bund mit Genf und die Zustimmung des Bischofs dazu zu gewinnen. Als nunmehr die Bürgerschaft die Gewalt des Vidomne nicht mehr anerkannte und sich nach dem Vorbilde der Schweizerstädte eine neue Verfassung gab, wurde sie von dem „Löffelbund“, einer Verbindung des savoyischen Adels, schwer bedrängt, bis ein Aufmarsch Berns und Freiburgs den Herzog zwang, im Frieden von St.-Julien am 19. Oktober 1530 Genfs Unabhängigkeit bei Strafe des Verlustes der Waadt anzuerkennen. Die Reformation stürzte Genf in neue Wirren. Während Bern für Farel freie Predigt verlangte, forderte Freiburg, dass man sie ihm verbiete und erklärte, als der Rat von Genf schwankte und der Bischof deshalb die Stadt verließ, sein Bündnis für erloschen (März 1534). Dies ermutigte den Herzog, Genf, das sich jetzt ganz der Reformation zuwendete, aufs neue zu bedrängen. Als Frankreich Anstalten machte, die Stadt zu besetzen, kam ihm Bern zuvor, nahm dem Herzog die Waadt weg und befreite Genf (Februar 1536).

Genève, Cathédrale de Saint-Pierre
Genève, Cathédrale de Saint-Pierre

Im Juli des Jahres kam Calvin nach Genf und begann, von Farel festgehalten, seine welthistorische Wirksamkeit. 1538 mit Farel wegen seiner Herrschsucht vertrieben, wurde er 1541 zurückberufen und setzte nun eine völlige Umgestaltung des politischen und sozialen Lebens in theokratischem Sinn ins Werk. Der von dem Konsistorium, das aus den Geistlichen und zwölf „Ältesten“ bestand, gehandhabte Sitten- und Glaubenszwang, die Verhöhnung von Volksfesten, Theater, Tanz etc., erregten den Widerstand einer Freiheitspartei, der „Libertins“, unter denen sich die angesehensten Genfer Bürger befanden, so dass Calvin sein System nur durch eine Schreckensherrschaft halten konnte, die er mit Hilfe der auf seine Fürsprache hin zahlreich eingebürgerten fremden Religionsflüchtlinge gegen die alten Genfer Familien ins Werk setzte. Ein Sohn des Freiheitsmärtyrers Berthelier u. a., die nicht rechtzeitig flohen, wurden durch das Schafott beseitigt. So gelang es Calvin, sich seit 1555 zum allmächtigen Beherrscher Genfs aufzuschwingen, das er dafür zum „protestantischen Rom“ erhob. 1559 gründete er die berühmte Akademie, die Pflanzschule für reformierte Geistliche Frankreichs, der Niederlande, Englands und Schottlands. Nach seinem Tod 1564 folgte ihm als Vorsteher der Genfer Kirche und Akademie Theodor Beza († 1605). Genfs Anschluss an die Schweiz wurde durch ein „ewiges Burgrecht“ mit Bern und Zürich vom 30. August 1584 noch enger; um so hartnäckiger aber wiesen die fünf katholischen Orte alle Anträge zur Aufnahme der Stadt als eines Mitgliedes der gesamten Eidgenossenschaft zurück, ja die mit ihnen seit 1560 im Bunde stehenden Herzoge von Savoyen bedrohten Genfs Freiheit immer wieder. In der Nacht vom 11. zum 12. Dezember (alten Kalenders) 1602 suchte Karl Emanuel die Stadt zu überrumpeln; schon hatten 300 Savoyarden mittels geschwärzter Leitern die Mauern erstiegen, als sie entdeckt und aufgerieben wurden. Noch immer feiert Genf den Jahrestag dieser glücklich abgeschlagenen „Eskalade“.

Genève, Chapelle russe
Genève, Chapelle russe

Auch in Genf gestaltete sich nach der Reformation das Staatswesen immer aristokratischer. Die Staatshoheit ging völlig auf den Kleinen Rat und den Rat der Zweihundert über, die sich an den jährlichen Wahltagen gegenseitig bestätigten und die leeren Plätze mit Verwandten füllten. Die Erwerbung des Bürgerrechts wurde fast unmöglich gemacht. Die Bürger unterschieden sich in die regimentsfähigen „Citoyens“ und die nicht regimentsfähigen „Bourgeois“. Ganz außerhalb der Bürgerschaft standen die zahlreichen „Natifs“, d. h. die in Genf geborenen Nachkommen von nicht eingebürgerten Einwohnern, die wieder einige Vorrechte vor den frisch zugewanderten Ansässigen, den „Habitants“, besaßen; beide Klassen waren nicht nur von allen Staatsstellen, sondern auch von den höheren Berufsarten ausgeschlossen. Dazu kamen noch die „Sujets“, die Bewohner der wenigen der Stadt untertänigen Ortschaften. Aber mit dem 18. Jahrhundert begann Genf durch eine Reihe von demokratischen Bewegungen die Aufmerksamkeit Europas auf sich zu ziehen.

Genève, Eglise de Notre-Dame et Gare de Cornavin
Genève, Eglise de Notre-Dame et Gare de Cornavin

1707 verlangte die Bürgerschaft unter der Führung des Rechtsgelehrten Fatio eine auf dem Prinzip der unzerstörbaren Volkssouveränität aufgebaute Verfassung; die Räte wussten jedoch die Bürger durch Konzessionen zu teilen, worauf Fatio u. a. als Verschwörer hingerichtet wurden. 1734 erhoben sich neue Unruhen zwischen den sogenannten Représentants, d. h. den Bürgern, die Beschwerden gegen die Regierung erhoben, und den Aristokraten, bis durch die Vermittlung Frankreichs, Berns und Zürichs 1738 ein Vergleich zustande kam, welcher der Bürgergemeinde (Conseil général) die letzte Entscheidung über Krieg und Frieden, Gesetze und Steuererhöhungen zuerkannte. 1763 brach infolge der Verurteilung von Rousseaus „Émile“ und „Contrat social“ durch den Rat der Parteikampf wieder aus, und die Bürgerschaft erlangte 1768 das Recht, die Hälfte der Mitglieder der Zweihundert zu wählen. Jetzt regten sich aber auch die Natifs mit dem Verlangen nach Besserstellung; als der Rat sich weigerte, Zugeständnisse, die sie mit Hilfe der Représentants von der Bürgergemeinde erlangt hatten, zu bestätigen, vereinten sich die beiden Parteien zum Sturz der Regierung (9. April 1782) und übergaben die Staatsleitung einem „Sicherheitsausschuß“. Aber auf Einladung der gestürzten Machthaber rückten 6000 Franzosen, 3000 Piemontesen und 2000 Berner in die Stadt ein, die Führer der Volkspartei, Clavière, Duroveray, Dumont, Reybaz u. a., flohen, um später als Mitarbeiter Mirabeaus und der Girondisten eine Rolle in der französischen Revolution zu spielen, und der alte Zustand wurde wiederhergestellt (Juli 1782). Erst die französische Revolution brachte die herrschende Aristokratie zum Nachgeben; am 22. März 1791 gewährte die Regierung eine freiheitliche Verfassung. Aber das Revolutionsfieber war damit nicht gestillt; schon am 28. Dezember 1792 traten revolutionäre „Ausschüsse“ an Stelle der gesetzlichen Regierung. Genf hatte seine Nationalversammlung, seine Klubs, seine Montagnards, seine Sansculotten und nach einem Volksaufstand am 19. Juli 1794 auch sein Revolutionstribunal, das binnen 18 Tagen 37 Personen zum Tode verurteilte, wovon 11 hingerichtet wurden, dann nach Robespierres Sturz seine ebenfalls nicht unblutige Gegenrevolution. Erst 1796 herrschten wieder geordnete Zustände.

Genève, Cathédrale de St. Pierre Le Peristyle
Genève, Cathédrale de St. Pierre Le Peristyle

Nachdem ein erster Versuch Frankreichs, sich Genfs zu bemächtigen, an der Wachsamkeit Berns und Zürichs gescheitert war (Oktober 1792), wurde nach dem Einrücken der französischen Heere in die Schweiz die Annexion gewaltsam vollzogen (15. April 1798).
Noch vor dem Sturze Napoleons I. erklärte sich Genf wieder für unabhängig (1. Jan. 1814). Danach wurde es als 22. Kanton wieder mit der Schweiz vereinigt (12. September 1814) und von den Mächten am Wiener Kongress und im zweiten Pariser Frieden mit einer kleinen Gebietsvergrößerung auf Kosten Savoyens und Frankreichs bedacht, die es in direkte Verbindung mit der Schweiz setzte und zugleich der calvinischen Bevölkerung ein starkes katholisches Element beimischte. Die am 24. August 1814 von der Bürgerschaft angenommene Verfassung trug aristokratischen Charakter; aber die leitenden Staatsmänner handhabten die Regierung in freisinnigem Geiste, weshalb 1830 die Bevölkerung sich durch einige leichte Modifikationen der Verfassung befriedigen ließ. Erst 1841 bildete sich ein politischer Reformverein (Association du 3 mars), der das Verlangen nach Einberufung eines vom Volke gewählten Verfassungsrats stellte, und ein drohender Volksauflauf zwang die Regierung nachzugeben (21.- 22. November). Die neue am 7. Juni 1842 angenommene Verfassung führte allgemeines Stimmrecht und Repräsentation im Großen Rat nach der Kopfzahl ein. Da jedoch die Neuwahlen in die Behörden vorwiegend konservativ ausfielen, erhob das Arbeiterviertel St.-Gervais am 13. Februar 1843 einen Aufstand, der erst mit der Zusicherung voller Amnestie an die Insurgenten ein Ende nahm. Die Weigerung des Großen Rates, die Tagsatzungsgesandten des Kantons für Auflösung des Sonderbundes zu instruieren, erweckte neue Erbitterung, die sich in stürmischen Volksversammlungen äußerte, und als der Journalist James Fazy, der Führer der Radikalen, verhaftet werden sollte, errichtete das Quartier St.-Gervais wieder Barrikaden, die es gegen die Regierungstruppen mit Glück verteidigte (6.- 7. Oktober 1846). Da die übrige Bürgerschaft gegen die Fortsetzung des Kampfes protestierte, legte die Regierung am 8. Oktober ihre Gewalt nieder und eine große Volksversammlung wählte als Conseil général eine provisorische Regierung mit Fazy an der Spitze. Die von dem neuen radikalen Großen Rat revidierte, am 24. Mai 1847 von 5541 gegen 3186 Stimmen angenommene Verfassung übergab dem Volk auch die Wahl des auf sieben Mitglieder reduzierten Staatsrats, die jährlich mit der des Großen Rates wechseln sollte, und führte Unentgeltlichkeit des Primärschulunterrichts, Geschworenengerichte und völlige Freiheit auch für den katholischen Kultus ein. Diese Umwälzung war von höchster Wichtigkeit für die Schweiz, indem mit Genf die nötige Stimmenzahl für die Auflösung des Sonderbundes gewonnen wurde. Das neue von Fazy geleitete, von den Radikalen und Ultramontanen gestützte Regierungssystem tat sein möglichstes, um das altcalvinische Genf in eine glänzende moderne Stadt umzuwandeln. Allein Fazys diktatorische Haltung und verschwenderische Finanzwirtschaft entfremdeten ihm einen Teil der Radikalen, der sich mit den Konservativen zu der Partei der „Unabhängigen“ vereinte. 1861 und 1863 wurde er bei den Neuwahlen in den Staatsrat übergangen, ebenso 1864 bei Besetzung einer Vakanz in demselben. Als sich hierauf das sazyanisch gesinnte Wahlbüro erlaubte, die Wahl seines Gegners zu kassieren, kam es am 22. August zu einem blutigen Konflikt zwischen den Parteien. Jetzt wurde Genf mit eidgenössischen Truppen besetzt und eine gerichtliche Untersuchung angeordnet, die indes mit Freispruch sämtlicher Angeklagten endete. Fazys Einfluss aber blieb gebrochen. Der kosmopolitische Charakter des neuen Genf erhielt gleichsam seine Sanktion, indem 1864 (8.- 21. August) der internationale Kongress zur Verbesserung des Loses der im Kriege verwundeten Militärs, 1867 der erste Kongress der internationalen Friedens- und Freiheitsliga, an dem Garibaldi teilnahm, und 1872 das Alabama-Schiedsgericht dort tagten. Am 19. August 1873 starb der Exherzog Karl von Braunschweig in Genf, indem er die Stadt zur Erbin seines Vermögens einsetzte, das nach Abzug aller Kosten 16,5 Millionen Franken betrug und für Errichtung eines prachtvollen Denkmals für den Erblasser, für Tilgung von 7 Millionen Franken Schulden, Erbauung eines neuen Theaters etc. verausgabt wurde.

Genève, Bureau International du Travall
Genève, Bureau International du Travall

Nach dem Sturz Fazys hatte sich dessen Partei in ihre Bestandteile aufgelöst, die Radikalen und die Ultramontanen. Erstere erlangten unter der Leitung Carterets 1870 bei den Wahlen die Oberhand. Die Carteretsche Regierung erwarb sich Verdienste durch Erweiterung der alten Genfer Akademie zu einer vollständigen Universität (Oktober 1873), hat aber namentlich Aufsehen erregt durch den Kampf, den sie gegen die früheren Bundesgenossen der Radikalen, die Ultramontanen, zu führen hatte, die unter der Leitung des ehrgeizigen katholischen Stadtpfarrers Kaspar Mermillod das altberühmte Bollwerk des Protestantismus wieder in einen katholischen Bischofssitz umzuwandeln bestrebt waren. Schon 1864 hatte Bischof Marilley von Freiburg, zu dessen Diözese seit 1819 das katholische Genf gehörte, auf höhere Weisung hin Mermillod als seinem „Hilfsbischof“ die bischöflichen Gewalten über Genf delegieren müssen. Als 1871 Marilley auf die direkte Aufforderung des Staatsrats sich weigerte, irgend welche Verantwortlichkeit für den genferischen Teil seiner Diözese zu übernehmen, untersagte jener Mermillod alle bischöflichen Funktionen und setzte ihn ab, da er sich weigerte, zu gehorchen, seiner Stelle als Pfarrer (20. September 1872). Am 16. Januar 1873 erfolgte die förmliche Ernennung Mermillods zum apostolischen Vikar von Genf durch den Papst, worauf der Schweizer Bundesrat am 11. Februar diese Ernennung für nichtig erklärte und am 17. wegen des Widerstandes Mermillods dessen Ausweisung verfügte. In Genf wurden, nachdem die nationalen Parteien bei den Großratswahlen am 10. November 1872 einen glänzenden Sieg über die Ultramontanen davongetragen, 1873 zwei Gesetze über den katholischen Kultus erlassen (19. Februar und 27. August), welche die Verfassung der katholischen Kirche auf die Gemeinde basierten und von den Geistlichen einen Eid auf die Staatsgesetze verlangten. Alle Pfarrer, die denselben verweigerten, wurden abgesetzt und, da nur die christ- (alt-) katholische Richtung sich den Gesetzen fügte, diese als Landeskirche anerkannt, während sich die römisch-katholischen Genossenschaften in die Stellung von Privatvereinen gedrängt sahen.

Luigi Lucheni ermordet Kaiserin Elisabeth 1898 in Genf
Luigi Lucheni ermordet Kaiserin Elisabeth 1898 in Genf

Seit 1878 machten die Konservativen als „demokratische“ Partei den Radikalen die Herrschaft öfters mit Erfolg streitig. Im übrigen folgte Genf der demokratischen Strömung in der Schweiz, indem es durch ein Verfassungsgesetz vom 25. Mai 1879 das fakultative Referendum für Gesetze und Beschlüsse, am 29. Oktober 1882 das Institut der gewerblichen Schiedsgerichte, am 5. Juli 1891 die Volksinitiative für Gesetze nebst dreijähriger Amtsdauer für Großen Rat und Staatsrat, am 6. Juli 1892 die Proportionalwahl für den Großen Rat, am 17. Juni 1893 die Volkswahl für die Vertreter im Ständerat, am 12. Januar 1895 das fakultative Referendum in Gemeindesachen einführte und am 21. September 1901 die Einbürgerung für Schweizer aus anderen Kantonen sowie für Ausländer erleichterte. Am 10. September 1898 wurde Kaiserin Elisabeth von Österreich Opfer eines Attentats in Genf, als sie vom italienischen Anarchisten Luigi Lucceni vor ihrem Hotel erstochen wird.

Bildergalerie

Quellenhinweise:

  • „Ortslexikon der Schweiz“ von Henry Weber, Verlag von M. Kreutzmann, St. Gallen 1887
  • „Meyers Konversations-Lexikon“ in 24 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien 1906
  • „Meyers kleines Konversations-Lexikon“ in 6 Bänden 1908
  • „Meyers Lexikon“ in 12 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig 1924
Schweiz Wappen

Ähnliche Beiträge

Vorherige SeiteNächste Seite
FreiburgGlarus

Kommentar verfassen