Der Kanton Wallis (Valais) in einer Darstellung um 1900, Geschichte in alten Ansichtskarten und zeitgenössischen Texten.
Hauptort Sitten / Sion
Kanton Wallis
Wallis (franz. Le Valais) ist der gebirgigste Kanton der Schweiz, grenzt nördlich an die Kantone Bern und Waadt, östlich an Tessin und Uri, südlich und westlich an Italien und Frankreich und hat eine Fläche von 5224,49 km² (94,9 Quadratmeilen). Wallis besteht von der Furka bis Martigny aus einem von der Rhone durchflossenen Längental (Vallis Poenina der Römer), von hier bis zum Genfer See aus der linken Rhoneebene, einem Quertal. Die starken Nebenflüsse der Rhone entspringen der gewaltigen Hochgebirgswelt der Walliser und Berner Alpen mit 932,94 km² Gletschern, d. h. 17,9 % des Einzugsgebietes der Rhone. Von den zahlreichen Pässen tragen Grimsel, Furka, Simplon und Großer St. Bernhard Straßen nach bez. Bern, Uri und Italien. Seit 1906 ist der Simplon durchbohrt; der Lötschbergtunnel (13,7 km) verbindet Kandersteg im Berner Oberland mit Goppenstein im Lötschental und ermöglicht eine nördliche, kurze Zufahrtslinie zum Simplon.
Sehr mannigfaltig sind die klimatischen Abstufungen. Das zentrale Wallis von Martigny bis gegen Leuk ist ein Stück Spanien, mit nur 54–63 cm Niederschlag, 4,7 Bewölkung, nur 80–90 Niederschlagstagen und einer Durchschnittstemperatur von 9,6°C. Daher hat die Sonnenseite künstliche Bewässerung nötig, die durch 1536 km Kanäle vermittelt wird, die in 1200–2520 Meter über dem Meer von den Gletscherbächen gespeist werden. Der Getreidebau reicht in St. Luc bis 1675 m, in Findelen auf 2000 und 2100 m (Roggen). Die Schnee- und Waldgrenzen erreichen hier die schweizerischen Maximalwerte von 3200, bez. 2300 m innerhalb der Monte Rosa-Gruppe. Die im Jahr 1900 = 114.158 zählende, vorherrschend katholische Bevölkerung (1610 Protestanten) verteilt sich auf die Deutsch sprechenden (34.339) Oberwalliser von der Furka bis zu dem gewaltigen Schuttkessel des Pfynwaldes bei Leuk und die Französisch redenden (74.562) Unterwalliser. Sie wohnen vorherrschend in eng gruppierten, aus Holzbauten bestehenden Dörfern, die zunächst auf Schuttkegeln der in das durch die Korrektion von 1863 sanierte Haupttal mündenden Zuflüsse ruhen oder auf Terrassen des letzteren am Eingang der seitlichen Hängetäler, zu denen Zickzackwege führen. Die Sonnenseiten sind bevorzugt.
Stadt Sion (Sitten)
Sion (spr. ßióng, deutsch Sitten, im Altertum wohl Drusomagus, dann civitas Sedunorum) ist die Hauptstadt des Kantons Wallis. Sie liegt an der reißenden Sionne im schönsten Teil des Rhonetals gelegen, 521 Meter über dem Meer (mittlere Jahrestemperatur 9,6°) und an der Jura-Simplonbahn. Die Stadt macht wegen seiner vielen Klöster und altertümlichen Bauwerke einen mittelalterlichen Eindruck. Unter den Gebäuden sind zu erwähnen, die Kathedrale (mit eingemauerter römischer Inschrift), die Theoduls- und Jesuitenkirche, der bischöfliche Palast, das Schloss Valeria (jetzt Priesterseminar und Kantonsmuseum) und die Ruinen des 1798 von den Franzosen zerstörten bischöflichen Schlosses Tourbillon auf hohem Felsen sowie des 1788 abgebrannten Schlosses Majoria.
Der gedeckte Kanal „Grand Pont“, in dem der Wildbach fließt, bildet die Hauptstraße. Sion hat ein Gymnasium, eine Tabakfabrik, Weinbau und im Jahr 1900 = 6095 meist katholische Einwohner. Das dortige Bistum wurde um 580 durch Verlegung des Bischofssitzes von Martigny gegründet. In der Nähe das Schlachtfeld Planta, wo am 13. November 1475 die Oberwalliser mit Hilfe bernischer Freischaren 10.000 Savoyarden vernichteten.
Aufnahme in die Schweizer Eidgenossenschaft:
Im Jahr 1815 trat Wallis als 20. Kanton der Eidgenossenschaft bei.
Größe:
Angaben 1880: 5247,1 km²
Bevölkerungsdichte:
19,50 Einwohner/km² (Angaben 1879)
Einwohner:
- 1879: 102.420
- 1880: 100.305
- 1900: 114.158
Gewässer:
Der Kanton Wallis grenzt an den Genfer See und wird von der Rhone (Rotten) durchflossen.
Sprachen:
- 31,9 % Deutsch
- 67,3 % Französisch
- 0,8 % Italienisch und Rätoromanisch
Religionen:
Der Kanton Wallis ist ein überwiegend römisch-katholischer Kanton.
- 0,9 % protestantisch
- 99,1 % römisch-katholisch
Wirtschaft:
Die tieferen Täler sind vortreffliche Wein- und Obstgebiete, mit stattlichen Walnuss- und Kastanienbäumen, sogar mit Südfrüchten (Mandeln etc.) geziert. Die produktive Fläche innerhalb dieser großartigen Gebirgswelt beträgt nur 54,9 % des Gesamtareals, wovon auf Wald 770,61 km², Rebland 27,8, die übrigen land- und alpenwirtschaftlichen Flächen 2069,68 km² entfallen. Mittels Terrassen erstrecken sich beispielsweise die Weinhalden ununterbrochen bei Martigny von 495–810 Meter über dem Meer, bei Sion von 510–830 und bei Visperterminen sogar von 720–1100 m. Johannisberger und Malvasier gedeihen vortrefflich, und der Garten- und Obstbau sind in ausgezeichnetem Aufschwung begriffen. Eine Haupterwerbsquelle bilden Land- und Alpenwirtschaft.
Der Kanton besaß 1906: 2862 Pferde, 2595 Maultiere (fast das Fünffache der übrigen Schweiz), 572 Esel, 75.547 Rinder, 21.200 Schweine, 44.740 Schafe (mehr als ein Fünftel der Schweiz) und 35.738 Ziegen. Der nicht unbedeutende Bergbau liefert Blei im Lötschental, Gold bei Gondo am Simplon, Eisenerze bei Martigny und im Val d’Illiez; bedeutende Anthrazitlager sind bei Sion. geschätzter Marmor bei Saillon, Schiefer bei Vernayaz, im Drancetal etc. Leuk hat eine Gipstherme von 51°C, Saxon eine erdige Jodquelle. Trotz der gewaltigen Wasserkräfte ist die Industrie wenig entwickelt. Monthe besitzt Zucker-, Seifen-, Glas- und Tabakfabrikation, Saron liefert geschätzte Gemüse- und Obstkonserven, in Gamsen bei Brig wird Dynamit erzeugt. Größere Marktplätze sind in Sion und Martigny. Zermatt ist der vornehmste Ort für den Fremdenverkehr. Für den Fernverkehr dienen die Simplonbahn mit ihren Zufahrten und seit 1907 die elektrische Bahn Trient-Vallorcine. Wallis besitzt in Sion und Brig öffentliche Gymnasien und Lehrerseminare. Die öffentlichen Bibliotheken des ganzen Kantons enthalten gegen 40.000 Bände.
Politische Verwaltung und Einteilung:
Das Staatswesen ist durch die Verfassung vom 8. März 1907 neu geordnet. Es ist eine demokratische Republik mit obligatorischem Referendum und Volksinitiative. Die kantonale Verwaltung wird je auf vierjährige Amtsdauer neu bestellt, die Legislative (Grand Conseil) direkt, der Conseil d’Etat (fünf Mitglieder) indirekt gewählt wie die Cour d’appellation. Der Kanton Wallis gliedert sich in 13 Bezirke, deren jeder seinen Préfet oder Regierungsstatthalter hat, dem ein Bezirksrat beigegeben ist. Jede der 166 Gemeinden hat eine Urversammlung, Bürgerversammlung, Municipalité (Gemeinderat) und einen Juge (Richter). Hauptstadt ist Sion (Sitten). Die Staatsrechnung für 1906 ergibt an Einnahmen 1.990.193 Franken, an Ausgaben 2.207.985 Franken., mithin ein Defizit von 217.792 Franken.
Städte und Gemeinden:
Der Kanton Wallis gliedert sich in 13 Bezirke.
Städte und Gemeinden:
Sitten (franz. Sion), Brig (franz. Brigue), Martinach (franz. Martigny), Monthey, Raron, Saint-Maurice , Siders (franz. Sierre), Visp (franz. Viège), Zermatt
Geschichte:
Das abgeschlossene Becken der oberen Rhone, von den Römern Vallis Poenina genannt, war im Altertum von den keltischen Stämmen der Nantuaten, Seduner und Veragrer sowie den lepontischen Uberern bewohnt. Von Cäsar 57 v. Chr. angegriffen, wurde es von Augustus unterworfen und Rätien einverleibt, später jedoch wegen seiner Pässe über den Großen St. Bernhard und Simplon mit Hochsavoyen als besondere Statthalterschaft organisiert. Hauptort des römischen Wallis war Octodurus (Martinach), wo auch der Bischof residierte, bis um 580 der Sitz nach Sedunum (Sitten) verlegt wurde. Um 470 geriet das Tal unter die Botmäßigkeit der Burgunder, deren König Sigismund in Agaunum, wo angeblich die thebäische Legion samt ihrem Obersten Mauritius durch Kaiser Maximian das Martyrium erlitten, das berühmte Kloster St.-Maurice stiftete (515).
Mit dem Burgunderreich kam es 534 an die Franken und wurde 888 ein Bestandteil des neuburgundischen Reiches. Dessen König Rudolf III. verlieh 999 die Grafschaft über Wallis dem Bischof von Sitten; aber früh gelang es den Grafen von Savoyen, im Tale Fuß zu-fassen, und Graf Peter II. zwang den Bischof, ihm 1260 alles Gebiet unterhalb Sitten zu überlassen. Da die Grafen auch das Recht, dem Bischof die Regalien zu erteilen, an sich brachten, so wäre das ganze Tal savoyisch geworden, hätte nicht der Bischof in seinen endlosen Streitigkeiten mit Savoyen und dem trotzigen Lehnsadel in den sieben Zehnten, d. h. den Gemeinden im Oberwallis, das durch Einwanderung seit dem 12. Jahrhundert größtenteils deutsch geworden war, einen festen Rückhalt gefunden. 1388 schlugen die Oberwalliser ein savoyisches Heer bei Visp. Der Bischof sicherte sich die Loylität der Zehnten durch Verleihung von Freiheiten, die ihnen auch Teilnahme an der Landesregierung gewährten. Ihre Abgeordneten bildeten den seit 1339 erwähnten „Landrat“, der unter dem Vorsitz des ursprünglich vom Bischof, später vom Landrat ernannten „Landeshauptmanns“ Gesetzgebung, Gericht und Verwaltung immer mehr in seine Hand nahm und auch auf die Bischofswahl Einfluss ausübte. Die Gesetzgebung des Landrats unterlag aber dem Referendum der Zehnten. Während eines Aufstandes gegen das mächtige Geschlecht der Raron, das den Bischofssitz und die Landeshauptmannschaft innehatte, verbanden sich die Zehnten mit Luzern, Uri und Unterwalden (1416/17); 1475 trat der Bischof auch mit Bern in ein ewiges Bündnis, und Wallis galt seitdem als ein „zugewandter Ort“ der Eidgenossenschaft. Zugleich entrissen die Oberwalliser dem mit Karl dem Kühnen verbündeten Savoyen das Unterwallis und machten es zu ihrem Untertanenland.
In den italienischen Feldzügen der Eidgenossen spielte Wallis durch seinen kriegerischen Bischof, den Kardinal Matthäus Schinner (1456–1522), das Haupt der antifranzösischen Partei in der Schweiz, eine hervorragende Rolle. Am 17. Dezember 1533 wurde das Bündnis des Wallis mit Luzern, Uri und Unterwalden zu einem Glaubensbund des Bischofs und der Zehnten mit sämtlichen sieben katholischen Orten erweitert. Trotzdem fand die Reformation auch im Wallis zahlreiche Anhänger, bis unter dem Einfluss der Jesuiten und der katholischen Orte im 17. Jahrhundert Verfolgungen begannen, die 1655 mit der völligen Austreibung der Reformierten endeten. Nach einem vergeblichen Aufstandsversuch 1790 empfing das Unterwallis 1798 die Franzosen als Befreier, während die Oberwalliser sich erst nach blutigem Kampfe der helvetischen Regierung unterwarfen. 1802 wurde Wallis durch einen Machtspruch Napoleons als besondere Republik von der Schweiz getrennt und im Dezember 1810 als Simplon-Departement Frankreich einverleibt. Das Einrücken der Verbündeten in die Schweiz im Dezember 1813 machte der französischen Herrschaft im Wallis ein Ende, und am 12. September 1814 wurde es wieder als Kanton Wallis in die Eidgenossenschaft aufgenommen, durch die Verfassung von 1815 aber Unterwallis bei der Verteilung der Stimmen im Landrat benachteiligt.
1839 schritten die Unterwalliser im Verein mit Sitten und Siders zu einer Revision der Verfassung, um die Repräsentation nach der Kopfzahl einzuführen, und zwangen Oberwallis mit Waffengewalt zur Annahme derselben (im April 1840). Bald warf der Gegensatz zwischen Klerikalen und Liberalen den Kanton in neue Wirren. Die Priesterpartei der „Altschweizer“ benutzte das Übergewicht, das sie 1843 im Großen Rat und Staatsrat erhielt, zur Niederwerfung ihrer Gegner, der radikalen „Jungschweizer“, durch einen blutigen Überfall am Trient (21. Mai 1844) und zur Revision der Verfassung (14. September), wodurch die Repräsentation des Klerus im Landrat vermehrt, seine Immunität anerkannt und der protestantische Gottesdienst unterdrückt wurde. Selbstverständlich schloss sich Wallis jetzt auch dem Sonderbund an, kapitulierte jedoch ohne ernstlichen Widerstand am 29. November 1847. Eine provisorische Regierung von Liberalen ersetzte die sonderbündische, und durch eine Verfassungsrevision vom 10. Januar 1848 verloren Bischof und Klerus ihre Vertretung im Großen Rat. Aber schon 1852 setzten die Klerikalen eine Verfassungsrevision durch und behaupteten fortan beständig bei den Wahlen die Oberhand. 1876 wurden durch eine am 13. Februar vom Volk angenommene Verfassungsrevision größere außerordentliche Ausgaben dem Referendum unterstellt. Erst 1907 wurde eine neue, rein demokratische Verfassung eingeführt.
Bildergalerie
Quellenhinweise:
- „Ortslexikon der Schweiz“ von Henry Weber, Verlag von M. Kreutzmann, St. Gallen 1887
- „Meyers Konversations-Lexikon“ in 24 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig und Wien 1906
- „Meyers kleines Konversations-Lexikon“ in 6 Bänden 1908
- „Meyers Lexikon“ in 12 Bänden Bibliographisches Institut Leipzig 1924
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