Heidelberg, Die Universität

Bildung im Deutschen Reich

Bildung im Deutschen Reich 1871 – 1918 (Kaiserreich)

Berlin, Königliche Universität
Berlin, Königliche Universität

Deutschland steht zur Zeit des Kaiserreichs in der Volksbildung auf der ersten Stufe unter den größeren Völkern der Erde. Deutschland und Preußen verdanken diese Blüte den Bestrebungen der Anhänger Pestalozzis, die im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts das Schulwesen reformierten. Diese Entwickelung wurde in Preußen 1854 durch die Stiehlschen Schulregulative gehemmt, die jedoch 1872 beseitigt wurden. Auch in den östlichen Provinzen hat sich die allgemeine Bildung gehoben, denn auch hier ist die Zahl der Rekruten, die weder lesen noch schreiben können, sehr zurückgegangen. 1901 waren unter allen deutschen Rekruten 131 (0,05 %) ohne Schulbildung, davon 114 aus dem Königreich Preußen (und zwar 27 aus Westpreußen, 21 aus Ostpreußen, 20 aus Posen, 15 aus Schlesien etc.). 1891 waren unter den deutschen Rekruten noch 824 Analphabeten (0,45 %) und 1881 gar 2332 (1,55 %).

Universitäten und Hochschulen, Landkarte 1910
Universitäten und Hochschulen, Landkarte 1910

Das Volksschulwesen ist meist konfessionell getrennt. In fast allen Teilen des Deutschen Reiches besteht für die Volksschule noch eine Lokalschulaufsicht, die oft noch in den Händen der Geistlichen liegt. Die Grundlage der Volksbildung bildet der Schulzwang, wonach alle Einwohner ihre nicht anderweit gehörig unterrichteten Kinder vom zurückgelegten 5., bez. 6. bis im allgemeinen zum vollendeten 14. Lebensjahr zur öffentlichen Schule schicken müssen. Anfangs- und Endpunkt der Schulpflicht sind in den verschiedenen Staaten, sogar in den Provinzen verschieden; die allgemeine Schulpflicht selbst aber besteht in ganz Deutschland. 1900 betrug die Zahl der Volksschulen in Deutschland etwa 59.300, die von 8.660.000 Kindern besucht wurden, die Zahl der Lehrkräfte 137.500. Für die Ausbildung von Schullehrern bestehen Präparandenanstalten (113), Schullehrerseminare (275) und Lehrerinnenseminare (40).

Straßburg i. Els., Universität
Straßburg i. Els., Universität

Als Unterrichtsfächer der Volksschule gelten biblische Geschichte, Bibellesen, Katechismus, Kirchengeschichte und Kunde geistlicher Lieder. Allgemein gliedert sich der Unterricht in

  • Muttersprache (Schreiben, Lesen, Grundlagen der Sprachlehre, Einführung in die Literatur),
  • Rechnen und Elemente der Raumlehre,
  • Naturkunde (Naturgeschichte und Naturlehre),
  • Erdkunde,
  • Geschichte (mit besonderer Rücksicht auf Vaterland und Heimat),
  • Singen,
  • Zeichnen;
  • für die Knaben Turnen,
  • für die Mädchen weibliche Handarbeiten. Für die Mädchen wurde ebenso Haushaltskunde, Kochen etc. vielfach als Lehrfach der Volksschule verlangt.

Eine Fremdsprache wird nur in wenigen städtischen Volksschulen gelehrt, wie z. B. in Hamburg und Bremerhaven das Englische. In Deutschland, Skandinavien, England ist der gemeinsame Unterricht der Knaben und Mädchen auf dem Land überwiegend. Man verfährt nach dem Grundsatz (Preußen, allgemeine Verfügung vom 15. Okt. 1872): „Für mehrklassige Schulen ist rücksichtlich der obern Klassen Trennung der Geschlechter wünschenswert. Wo nur zwei Lehrer angestellt sind, ist eine Einrichtung mit zwei oder drei aufsteigenden Klassen derjenigen zweier, nach den Geschlechtern getrennter Klassen vorzuziehen.

Greifswald, Universität
Greifswald, Universität

Die Kosten des öffentlichen Volksschulwesens belaufen sich jährlich auf 341,7 Millionen Mark, wovon 98,4 Millionen Mark Staatszuschüsse sind. Einen Übergang von den Volksschulen zu den höheren Schulanstalten bildet die Mittelschule unter den verschiedensten Bezeichnungen und Einrichtungen, und als Ergänzung der Volksschule erscheint die Fortbildungsschule, welche die Volksschulbildung befestigen und in ihrer Anwendung auf das praktische Leben erweitern soll.

Freiburg i. B., Universität
Freiburg i. B., Universität

Bei letzterer findet sich eine Schulpflicht nur unter gewissen Voraussetzungen anerkannt. Hinsichtlich der sachlichen (gewerblichen) Fortbildungsschulen hat die neuere Gewerbegesetzgebung ausgedehntere Bestimmungen getroffen. In den höheren Lehranstalten soll die wissenschaftliche Vorbildung erworben werden, die als Unterlage für die spätere Berufs- oder Fachbildung dient.

Hamburg, Universität
Hamburg, Universität

Sie gliedern sich in neunklassige höhere Lehranstalten (Gymnasien, Realgymnasien und Oberrealschulen), die wenigstens in Preußen für gleichwertig gelten, und an denen hier die Reifeprüfung zum Studium auf der Hochschule berechtigt, ferner in Progymnasien, Realprogymnasien und lateinlose Realschulen (in Preußen, Bayern und den meisten deutschen Staaten sechsklassig, in wenigen siebenklassig). Abweichende Organisation haben die neuerdings eingerichteten Reformschulen nach Altonaer und Frankfurter System, beide mit gemeinsamem lateinlosen Unterbau, aus dem sich in Altona mit dem vierten Schuljahr nach obenhin Realgymnasium und Oberrealschule, in Frankfurt außerdem Gymnasium entwickeln.

Kiel, Universität
Kiel, Universität

Im Jahre 1902 gab es in Deutschland 1250 Lehranstalten, die zur Ausstellung von Zeugnissen über die Befähigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst berechtigt waren. Darunter waren 460 Gymnasien, 97 Progymnasien, 122 Realgymnasien, 62 Oberrealschulen, 294 Realschulen, 47 Realprogymnasien, 183 Lehrerseminare, 33 andere öffentliche, 54 private und 2 Lehranstalten im Ausland. Reformschulen nach Altonaer System waren 11, nach Frankfurter 45.

Gießen, Universität
Gießen, Universität

Die Universitäten oder Hochschulen bestehen in der Regel aus 4 Fakultäten: der theologischen, juristischen, medizinischen und philosophischen. Die theologische Fakultät ist vorherrschend evangelisch, katholisch nur bei den Universitäten zu München, Würzburg, Freiburg, Münster und dem katholisch-theologischen Lyzeum zu Braunsberg; eine evangelisch- und eine katholisch-theologische Fakultät haben die Universitäten zu Bonn, Breslau (daher 5 Fakultäten) und Tübingen, das 7 Fakultäten besitzt, weil zu den 5 noch eine staatswissenschaftliche und eine naturwissenschaftliche hinzutreten; auch ist in Straßburg eine katholisch-theologische Fakultät errichtet.

Jena, Universität
Jena, Universität

Dieses hat außerdem eine naturwissenschaftliche. Die Universitäten zu München und Würzburg besitzen 5 Fakultäten: dort ist eine staatswirtschaftliche, hier eine staatswissenschaftliche hinzugefügt worden, ferner ist die philosophische in zwei Sektionen, eine philologisch-philosophische und eine mathematisch-naturwissenschaftliche, zerlegt. Die Universität zu Münster (bis 1902 Akademie) hatte früher nur 2 Fakultäten (eine katholisch-theologische und eine philosophische), hat neuerdings aber eine juristische dazu erhalten.

Rostock, Universität
Rostock, Universität

Die erste deutsche Universität wurde von Kaiser Karl IV. (1316 – 1378) mit Stiftungsbrief vom 7. April 1348 in Prag gegründet. Sie lehrte in den vier klassischen Fakultäten Rechtswissenschaften, Theologie, Medizin und Philosophie. Die älteste Universität im Deutschen Reich ist die zu Heidelberg (1386), die jüngste die zu Straßburg (1872).

Tübingen a. N., Universitäts-Augenklinik
Tübingen a. N., Universitäts-Augenklinik

Im ganzen gibt es, abgesehen von der katholisch-theologischen Fakultät zu Braunsberg (Lyzeum, 1818 gestiftet), 21 Hochschulen, davon

Breslau, Blick auf die Universität
Breslau, Blick auf die Universität

Auf den 21 deutschen Universitäten waren im Wintersemester 1902/1903: 36.605 immatrikulierte Studierende und außerdem 7862 männliche und 1271 weibliche Personen zum Hören der Vorlesungen berechtigt.

Leipzig, Universität und Pauliner Kirche (Universitätskirche)
Leipzig, Universität und Pauliner Kirche (Universitätskirche)

Zur Förderung der physikalisch-technischen Wissenschaft und ihrer praktischen Nutzanwendung hat das Deutsche Reich eine besondere physikalisch-technische Reichsanstalt (Charlottenburg) errichtet. Der Ausbildung in den Bauwissenschaften dienen 9 technische Hochschulen: Berlin (Charlottenburg), Hannover, Aachen, Darmstadt, Dresden, Karlsruhe, München, Stuttgart und Braunschweig (Collegium Carolinum), im Wintersemester 1902/1903 zusammen mit 13.269 Studierenden und 2174 männlichen und 1590 weiblichen Hörern. Die Errichtung einer technischen Hochschule in Danzig ist beschlossen und wird auch für Breslau geplant.

Halle. a. d. S., Universität
Halle. a. d. S., Universität

Groß ist die Zahl der Fachschulen. So gibt es für die Baukunst mehrere Baugewerk-, Kunst- und Bauhandwerk-, Bauschulen etc.; für das Bergwesen Bergakademien in Berlin, Freiberg und Clausthal und 14 Bergschulen (davon 10 in Preußen); für das Forstwesen die höheren Forstlehranstalten (Forstakademien) in Eberswalde, Münden, München, Tharandt bei Dresden, Hohenheim bei Stuttgart, Eisenach, ferner eine Zentralforstschule zu Aschaffenburg; für die Handelswissenschaften mehrere höhere Handelsschulen (Handelshochschulen in Leipzig, Aachen, Hannover, Frankfurt a. M., Köln; auch in Berlin geplant), 45 niedere Handelsschulen, 281 kaufmännische Fortbildungsschulen, eine Buchhändlerlehranstalt in Leipzig etc.; für die Kriegswissenschaften Kriegsakademien in Berlin und München, eine Marineakademie in Kiel, ferner Kadettenhäuser, Kriegs- und Unteroffizierschulen, eine Marineschule in Kiel;

Erlangen, Universitätstraße
Erlangen, Universitätstraße

für die Landwirtschaft verschiedene landwirtschaftliche Hochschulen, mit Universitäten verbundene Institute und Lehranstalten zu Jena, Hohenheim, Poppelsdorf (Bonn), Berlin, Halle, Göttingen, Weihenstephan in Bayern u. a.; sodann eine Gärtnerlehranstalt zu Sanssouci, Ackerbau- und zahlreiche landwirtschaftliche Winter- und Fortbildungsschulen; für die Musik Konservatorien (Leipzig, Stuttgart, Dresden, Köln, Berlin, München u. a.), Musikschulen etc.; zahlreiche Navigations-, Seemanns- und Schifffahrtsschulen etc.

München, Erweiterungsbau der Universität
München, Erweiterungsbau der Universität

Schlussendlich sind noch vorhanden 5 tierärztliche Hochschulen (Berlin, Hannover, München, Dresden, Stuttgart), pharmazeutische Lehranstalten, Hebammenschulen, Turnlehrerbildungsanstalten, Industrie- und Gewerbeschulen, einige Web- und höhere Webschulen (Chemnitz, Elberfeld, Mülheim a. Rh., Krefeld), Taubstummen-, Blindenanstalten etc. Als Bildungsmittel sind auch anzusehen die zahlreichen gelehrten Gesellschaften („Akademien der Wissenschaften“ zu Berlin, Göttingen, München, Leipzig) und Vereine, die Bibliotheken, Museen, die botanischen und zoologischen Gärten, die Presse etc.

Bildergalerie

Quellenhinweise:

  • Prof. A. L. Hickmann’s Geographisch-statistischer Taschen-Atlas des Deutsches Reichs, Leipzig und Wien 1897
  • „F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas“, Verlag von Velhagen & Klasing, 1902
  • „Harms Vaterländische Erdkunde“, 1906
  • „Post-Taschen-Atlas von Deutschland nebst Ortsverzeichnis“, Th. Pfuhl, Berlin, 1906
  • „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ 6. Auflage in 20 Bänden, Bibliographisches Institut Leipzig und Wien, 1905-1911
Reichsadler 1889-1918

Ähnliche Beiträge

Kommentar verfassen